Red Dead Redemption 2 im großen Test
Red Dead Redemption 2: Western-Epos der Extraklasse! Rockstar inszeniert eine raue filmreife Geschichte, die mit einer großen organischen Open-World aufwartet und in Teilen auch Meilensteine setzt. Unser Test zum Wild West-Abenteuer.
Hart war das Leben von Arthur Morgan schon immer. Im Wilden Westen geboren und aufgewachsen. Erbarmungsloses Ödland und schroffe Mitmenschen. Ein raues Pflaster. Schon damals. Doch die größte Prüfung seines Lebens steht noch an. Wir schreiben das Jahr 1899. Nach dem vergeigten Raubüberfall in Blackwater City flieht die Van-der-Linde-Bande in die verschneiten Grizzly-Berge. Etwas ist verdammt schief gelaufen. Zusammen mit Frauen und Kindern muss die Bande ausharren. Auf Tauwetter oder gar die Gnade eines Gottes die rachlüsternen Verfolger auf falsche Fährten zu schicken. Doch jetzt zählt erstmal eines – durchhalten.
Für eine Handvoll Western
Rockstar Games hat über sieben Jahren an ihrer heißerwartenen Western-Fortsetzung „Red Dead Redemption 2“ gearbeitet. Lebenszeichen oder gar Gameplay waren lange Zeit nicht vorhanden. Sobald der Entwickler neue Infos entlocken konnte, wurden sie gar kriminalistisch analysiert. Was ist das damit gemeint? Ist das Meta-Ebene? Je näher der Release rückte machten die Details mehr Sinn. Die Schmiede hinter der fast schon unverschämt erfolgreichen „Grand Theft Auto“-Reihe wollten hier kein klassisches Open World-Game mit Wild West-Anleihen veröffentlichen, sondern in vielerlei Hinsicht Meilensteine setzen. In Bezug auf Erzählung und der begehbaren Spielwelt – gelang dies auch. Daneben liegen jedoch auch unschöne Aspekte, die durch die selbst verordnete Perfektion der Entwickler stärker hervorstechen als in anderen Titeln.
Wie bereits oben angeteasert hat man nicht wie im Vorgänger-Spiel von Rockstar „GTA 5“ die Möglichkeit zwischen ganzen drei Figuren frei zu wechseln sondern belässt es bei Hauptprotagonist Arthur Morgan. Eine gute Entscheidung. Da man geradezu in die Handlung reingeworfen wird, tut der bewusst langsame Einstieg dem Spielfluss gut. Filmemacher Quentin Tarantino stand wohl nicht nur einmal Pate für so manch überraschenden Story-Twist und das herrschende Setting. In den ersten zwei Spielstunden durchleben wir ein launiges Tutorial, in dem wir einerseits nahezu alle wichtigen Gameplay-Aspekte wie Pistolen-Duelle, Jagden und dem Verfolgen von cineastischen Dialogen während mehrerer Ausritte beiwohnen. Wenig später beziehen wir unser erstes richtiges Lager im Tal und das Spiel lässt uns von der Kette. „Red Dead Redemption 2“ hat vermutlich die bis dato hübschste und realistischste Spielwelt vorzuweisen. Ungemein lebendig vom Tier bis zum Mensch. Letzterer ist nun mit verschiedenen Optionen ansprechbar. Es liegt beim Spieler, ob er freundlich oder provozierend auf andere Mitmenschen zu geht. Ob er sie ausraubt oder sogar bei Schwierigkeiten hilft. Alleine die Freiheit ist erfrischend. Es ist sogar möglich durch geschickte Diplomatie Kämpfe prophylaktisch abzuwenden. Zudem werdet ihr wohl keine 200 Meter ohne ein spontanes Ereignis gehen können. Mal muss Arthur ein einsames Fräulein unter ihrem bewusstlosen Pferd befreien, dann möchte ein Fotograf die Lichtung abfilmen wobei ein streunender Coyote seinen Rucksack stibitzt und wir ihn natürlich wieder einfangen sollen. All jene Situationen passen perfekt in das rege Treiben der Spielwelt und ist plausibel aufgebaut. Zudem hat sich in unserem über 50 stündigem Abenteuer nur wenig wiederholt. Bis auf den ein oder anderen Raubüberfall – entweder als Zeuge oder Beute.
Stichwort: Details. Der Grad an Details ist abartig hoch. Kein Spiel hat bisher eine solche Qualität aufgewiesen, wie bei „Red Dead Redemption 2“. Von den zusammenziehenden Pferdehoden bei klimatischen Veränderungen mal abgesehen. Alleine die Flora und Fauna mit ihren physikalisch realistischen Bewegungen der Äste. Mitsamt zurückliegenden Fußspuren von Arthur sowie seinem Reittier. Oder, dass Tierleiche Tage später an gleicher Stelle verwesen und menschliche Leichen von Staatsdediensteten aufgesammelt werden. Nicht zu vergessen die Reaktion auf Arthur´s Begrüßungen bei Passanten. Auch bleiben Blutflecken an Arthur´s Kleidung, wenn er angeschossene Feinde weggetragen hat. Manchmal greift man sich an den Kopf, weil hier auf kleinste Aspekte geachtet wurden, die der Großteil der Spiele nicht wahrnehmen aber dennoch vorhanden sind.
Sieben glorreiche Halunken
„Red Dead Redemption 2“ darf getrost als Prequel zum 2010 erschienenen „Red Dead Redemption“ angesehen werden. Während John Marston im Erstling auf blutige Rache geht, setzt man im aktuellen Part auf eine prasselnde Gruppendynamik. Ehrlichweise war ich von Arthur anfangs wenig begeistert. Mürrisch, platt und eher Klischee – dies ändert sich aber von Stunde zu Stunde. Je mehr Zeit ich mit ihm sowie seiner Bande verbracht habe, desto vielschichtiger wird der Charakter. Auf der einen Seite Outlaw, der weiß, dass seine Zeit endet und sich trotzdem noch ein kleines Stück Herz und Seele bewahrt hat. Genauso ist Banden-Chef Dutch van der Linde müde von der ewigen Flucht und versucht alles noch irgendwie zum Guten zu wenden. Hier servieren die Autoren Dan und Sam Houser keinen satirischen B-Movie Plot sondern hartes Kino für erwachsene Spieler. Denn zimperlich ist das Spiel gewiss nicht. Der Großteil der teils herrlich pointierten Dialoge sind In-Game vertreten. Typisch – auf eine deutsche Lokalisierung wurde verzichtet. Also heißt es Untertitel lesen. Das ist bitter nötig, da manche Sprecher so authentisch ihren jeweiligen Dialekt sprechen, dass man auch als englischsprachiger Spieler dies nur schwer versteht. Jedenfalls sind die originalen Sprecher überaus gut ausgewählt. Die Missionen reichen von simplen Raubzügen bis hin zu originell inszenierten Ideen, durch recht gelungene Wendungen macht man spielerisch fast immer das gleiche, wird jedoch absolut nicht genervt. Mitunter die größte Stärke von Rockstar Games.
Im Vergleich zum ersten Teil ist das Gameplay deutlich anspruchsvoller geworden. Auch als regelmäßiger Gamer werdet ihr wohl Stunden brauchen, um die Steuerung sicher bzw. wenig Fummelei bedienen zu können. Zum liegt es daran, dass nahezu jede Taste doppelt belegt ist. Werdet ihr beispielsweise von Banditen überrascht, schaltet das Spiel zwar in Zeitlupe während ihr im geöffneten Ringmenü eine Waffe auswählt und dazu die jeweilige Munitionsart – dauert das aber viel zu lange. Wie gerne hätte ich über das analoge Steuerkreuz per Schnellzugriff zum Colt gegriffen. Da Rockstar hier arg am Realismus schraubte, ist das Gunplay somit auch schwieriger geworden. Einerseits wird jede Waffe erst sichtbar entsichert und braucht je nach Leistung eine Feuerpause. In hitzigen Gefechten kann sowas echt frustig sein. Jedoch gewöhnt ihr euch schnell daran. Deshalb solltet ihr regelmäßig den Waffenschmied besuchen und euch neue Schießeisen mit besseren Werten besorgen. Das Arsenal ist breitgefächert. Neben klassichen Revolvern, gibt es Colts, verschiedene Arten von Repetiergewehren, Scharfschützenknarren und lautlose Wurfsterne. Richtig gehört, Schleichen ist nun auch möglich und klappt erstaunlich gut. Zwar ist es kein „Splinter Cell“ sollte jedoch werden, um kleinere Ziele innerhalb der Missionen abzuschließen. Tipp von uns: Plündert eure erledigten Gegner – innerhalb von Storyaufträgen lässt das Spiel euch glücklicherweise dafür Zeit. Somit habt ihr keine Geldsorgen oder Munitionsknappheit. Fast schon Seltenheitswert besitzt die Mini-Map. Als Kompass überaus hilfreich wäre ein Verzicht darauf nicht klug gewesen. Ein Ausflug in leerstehende Häuser ist nicht zu verachten. Ebenso steht unser Pferd nun stärker im Vordergrund. Ihr müsst es regelmäßig füttern und striegeln. Je länger wir mit einem Reittier reisen desto stärker wird unsere Beziehung. Auch verbessern sich hierdurch die Stats – längere Sprints möglich. Größte Neuerung sind sicherlich die neuen dynamischen Werte. Gesundheit, Ausdauer und Dead Eye müssen durch verschiedene Arzneien und Lebensmittel erneuert bzw. aufgefrischt werden. Keine Bange, euch erwartet kein beinhartes Survival-Spiel á la „Ark“ sondern eine gut balancierte Mischung.
Spielwelt voller Möglichkeiten
Die Zeit neben der wirklich langen Hauptstory ist gespickt mit unzähligen Nebenaktivtäten. Von Angelausflügen bis hin zu typischen Saloon-Schlägereien inklusive Massenbesäufnis und Alkohol-Koma. Humor wird also geschickt gestreut. Oder wir klauen Wildpferde um sie für gutes Geld bei einem Hehler zu veräußern. Doch Vorsicht! Je mehr Ärger wir stiften sinkt unser Moral-Level und steigt das Kopfgeld. Selbst so weit, dass Städte abgeschlossen werden und Gesetzeshüter nach uns suchen. Abhilfe sorgt das Bezahlen im örtlichen Postamt. Keine Bange die Nebenmissionen können sich ebenso sehen lassen – hier darf „Red Dead Redemption 2“ viele Themen anpacken. Rassismus, Familienfehden, Sklavenhandel, Indianer vertrieben vom eigenen Land etc. Zudem dürfen wir innerhalb der Aufträge auch den Weg zum Ende entscheiden. Entweder sprengt Arthur eine Höhle oder er schleicht sich rein. Löblich! Gerade die hohe Flexibilität innerhalb des Spielkonzepts habe ich von Rollenspielen wie „The Witcher 3“ oder einem David Cage-Werk selten wahrgenommen. Die vielfältigen Lebensräume und Klimazonen beherbergen rund 200 Tier-, Vogel-und Fischarten, die sich allesamt auf einzigartige Weise Verhalten und auf ihre Umwelt reagieren. Fleisch kann selbst in einem mobilen Lagerfeuer verspeist werden. Häute sowie Felle sind im guten Zustand Handelsgüter. Eure Bande lebt in mehrfach wechselnden Basen. Hier dürft ihr euch auf´s Ohr legen, Missionen annehmen und die Spendenkasse füllen. Mit den verschenkten Dollars investiert ihr direkt in bessere Medizin, frische Lebensmittel sowie Munitionsvorräte. Dies passt problemlos ins Konzept und belastet auch Management-Muffel kaum. Zudem dürft ihr dem Camp-Alltag lauschen – was viel zur lebendigen Spielwelt beiträgt. Nicht zu vergessen ein fabelhafter Score, der mal Country oder bewusst dramatische Akzente setzt. Zudem gibt es drei markante Stellen im Spiel, in denen Musik mehr als cineastisch eingebaut ist. Teilweise bleiben einem diese Melodien noch tagelang im Ohr.
Grafisch überzeugt das neueste Werk der New Yorker in allen Aspekte. Eine derart detailiierte Spielwelt, die authentisch wirkt und trotzdem nicht am übertriebenen Realismus krankt, ist wahrlich beeindruckend. Im Gegensatz zu Konkurrenten wie Ubisoft darf ein Wald auch mal einfach nur ein Wald ohne Mini-Map-Symbole sein. Trotzdem schreiten Rehe sowie Marder über die Galoppstrecken und können im ungünstigen Fall auch für Unfälle sorgen. Es scheint, dass man hier wieder die hochgelobte Euphoria-Physik-Engine einsetzt (bekannt aus GTA 4). Zudem arbeitet man mit einigen Filtern, die die Lüfter eures System merklich auslasten. Hier möchten wir noch ausdrücklich die grandiose Lippen-Synchronität bei Gesprächen loben. Im unserem Test spielten wir auf der PS4 Pro, die 4K Upcycling zu stabilen 30fps bietet. Die Xbox One X bietet hingegen natives 4K – was wir jedoch nicht testen konnten. Auch RDR2 muss mit kleineren Bugs kämpfen. Unter anderem: Selten auftretende Pop-Ups in der Ferne, spät nachladende Texturen, falsche Animationen bei bestimmten Aktionen und sogar Neustarts von Missionen, falls die Weiterfahrt auf Kutschen etc. vollständig gehindert wird. Abstürze waren nicht festzustellen. Die Ladezeiten könnten nach dem digitalen Tod etwas flotter sein, sonst gibt es wenig zu meckern. Technisch befindet man sich auf einem verdammt hohem Niveau – mit Abstrichen. Der sicherlich lang betriebene Online-Multiplayer „GTA Online“ wird erst in einigen Wochen freigeschaltet.
Unser Fazit zu „Red Dead Redemption 2“
Rockstar Games macht bei seinem Wild-West Abenteuer verdammt viel richtig. Alleine die kinoreife Handlung mit nahezu perfekt gefilmten Zwischensequenzen setzt hier neue Meilensteine. Dazu kommt eine natürliche Spielwelt, in der jede Person angesprochen werden kann und dem Spieler gar absurd viele Möglichkeiten zum Zeitvertreib anbietet. Wenn auch das Gameplay so störrisch wie ein Wildpferd ist, hat man irgendwann den Dreh raus und kommt seltener zum stocken. Die auftretenden technischen Makel sind zwar klein, fallen aber durch die nahezu perfekte Präsentation ungemein größer auf. Trotzdem hat Rockstar Games hier ein Meisterwerk sondersgleichen abgeliefert, deren Momente mir noch lange im Kopf bleiben und für viele Jahre deutliche Meilensteine gesetzt hat.
Entwickler: Rockstar Games | Preis: 69,99 Euro | Für PlayStation 4 und Xbox One | USK: ab 18
Red Dead Redemption 2 (PlayStation 4)
Spielspaß - 97%
Gameplay - 92%
Grafik - 97%
Technik - 93%
95%
Ausgezeichnet!
Groß, größer, Rockstar! Ein wilder Ritt durch die letzte Outlaw-Ära mit einer großartigen Story und fantastischen Spielwelt.