Filmkritik zu Tenet – Nicht verstehen, nur genießen.
Nach unzähligen Verschiebungen darf Christopher Nolan’s neues Werk endlich in sämtlichen Lichtspielhäusern flimmern. Tenet – fordert den Zuschauer und verzeiht keine Unaufmerksamkeit. Große Bilder übertrumpfen nicht die Handlung nicht sondern stützen sie um uns regelmäßig vor Staunen in den Kinositz zu drücken. Kein Film – ein Erlebnis.
„Versuchen Sie nicht, es zu verstehen.“
Als der Abspann lief, war ich erstaunt, verwirrt und melancholisch zugleich. Was lief da gerade? Gut, diese Frage stelle ich mir öfters – aber Nolan schafft es diese immer positiv zu behaften. Christopher Nolan, einer der letzten richtigen Autorenfilmer in Hollywood, präsentiert uns regelmäßig die kraftvolle Wucht des Kinos. Egal, ob es seine Comicausflüge mit dem „Dark Knight“ durch Gotham City sind oder sich aufbäumende Großstädte mitsamt Traumebenen im herrlich wuchtigen „Inception“. Seine Filmografie zeigt bestens, dass was wir nicht erklären können, reizt ihn. Zumal sein Gespür für Schauspieler nicht zu vergessen ist, DiCaprio als tragische Figur eines Traumdiebes hat man vor dem Kinostart wahrscheinlich kritisch betrachtet, doch das Ergebnis gab ihm recht. Genauso die ausgelebte Spezialität für Mindfucks. Enden, die einen am eigenen Verstand zweifeln lassen und letztlich doch logisch sind. Tenet ist Nolan’s komplexester Film aber vielleicht auch sein Bester.
Über die Handlung wurde lange getuschelt. Beim besten Willen ist die Handlung kaum zu erklären. Der namenlose Protagonist (John David Washington) erhält den Auftrag den zwielichtigen Plutoniumhändler Andrei Sator (Kenneth Branagh) vor einer folgenreichen Kettenreaktion, die zum Ende der Welt führt, aufzuhalten. Zusammen mit seinem Kontaktmann Neil (Robert Pattinson) macht er sich auf eine gefährliche Mission, die voller Wendungen steckt. Auch wenn viele Zeitreisen mit „Tenet“ in Verbindung bringen sind es jedoch Inversionen. Invertierte Gegenstände etwa Kugeln oder Fahrzeuge bewegen sich in der Zeit rückwärts. Wird das Publikum anfangs noch recht ruppig aber noch verständlich in die trügerische Welt eingeführt, in der der Protagonist mal im belebten Mombai oder grauen London unterwegs ist, ändert sich dies spätestens ab Mitte der Geschichte. Zeitlinien verlaufen nebeneinander aber verkehrt herum. Aus Fragen werden Antworten. Und andersrum. Nolan verpasst seinem spektakulären Thriller überaus intelligente Pinselstriche und genießt das sichtliche Erstaunen. Ab und an herrscht sogar heimeliges James Bond-Feeling, wenn es um die richtigen Stoffe für Anzüge innerhalb der Londoner Upperclass geht. Humoreske Momente ploppen meist in Dialogen Nolan-typisch auch auf.
Auf exzellent hohem Niveau agiert der Cast rund um den Protagonisten. Charmant bösartig empfiehlt sich Branagh als echter Bond-Bösewicht, der manchmal nur wenige Blicke braucht um Furcht zu verbreiten. Elizabeth Debicki wächst an ihrer Rolle und gibt die liebende Mutter glaubhaft wieder. Überraschend ist hier Robert Pattinson, der nun endgültig den Teenie-Umhang ablegt und zeigt, dass er dramatische Figuren problemlos verkörpert. Um bildgewaltig völlig erschlagen zu werden sahen wir „Tenet“ in IMAX, das wir euch auch ans Herz legen, mit kraftvollem Bass dahinter. Musikalisch setzt Nolan diesmal nicht auf Hans Zimmer sondern Ludwig Göransson. Merklich elektronisch und treibender setzt er Höhepunkte, ohne Foreshadowing zu betreiben. Actionsequenzen profiteren hiervon, obgleich man das leicht sphärische Sounddesign von Zimmer etwas vermisst. Technisch gehört das Gezeigte zu den beeindruckendsten Szenen, die ich bis dato erlebt habe. Unaussprechlich trifft es gut.
Unser Fazit zu „Tenet“
Komplex und verdammt bildgewaltig. Nolan festigt seinen Stand als einer außergewöhnlichsten Regisseure in Hollywood, der seine Filme entgegen dem allgemeinen Trend nicht dümmer sondern klüger inszeniert. „Tenet“ wird jedem Zuschauer im Gedächtnis bleiben und vielleicht zum 2. Kinobesuch verleiten, vielleicht nur, wenn es um die letzten brachialen 20 Minuten geht.
Tenet. USA 2020. Regie: Christopher Nolan. Mit Elizabeth Debicki, Robert Pattinson, John David Washington. 150 Minuten. Ab 12 Jahren.
Gibt es eine Post-Credit-Szene? = Nein.