DokumentationMusik

jazzopen stuttgart 2022: Jamie Cullum & Larkin Poe – Emotionsfeuerwerk!

"Eins, zwei, drei, vier!"

Zur knappen Halbzeit der diesjährigen jazzopen Stuttgart gastierten neben dem förmlich zum Inventar des Festivals gehörenden britischen Wirbelwind Jamie Cullum auch das raue Blues Rock spielende Schwestern-Duo von „Larkin Poe“, die mit ihrem Sound einmal mehr jegliche Facetten der musikalischen Tage in Stuttgart vertreten. In unserer Konzertkritik lest ihr dazu mehr.

Stuttgart – Sommer ohne Schoko-Eis. Bahnreisen ohne Verspätung. Die Maus ohne den blauen Elefanten oder die jazzopen ohne Jamie Cullum. Nein, es gibt schlichtweg Dinge, die ohne das jeweilige Gegenstück nicht funktionieren. So auch laue Sommerabende im Herzen der schwäbischen Landeshauptstadt mit einem höchst unterhaltsam-quirligen britischen Jazzmusiker, welcher sich kaum in irgendeine Kategorie stecken lässt. Zum Glück! Kurz vorher im Gespräch mit SWR1-Moderatorin Stefanie Anhalt unterstrich Veranstalter Jürgen Schlensog nochmal den Anspruch seines „Jazz & Beyond“-Gedanken sozusagen als Antrieb für das jährliche Musik-Festival. Als würde dieser Konzertabend fast schon exemplarisch dafür stehen, rockte das Schwestern-Duo aus Atlanta „Larkin Poe“ die Bühne mit effektvollem Gitarrengeschrammel eingehüllt in markigen Textzeilen wie „Gonna be a preacher
So I don’t have to work“. Herrlich rotziger Country Rock weit weg vom schönen Landleben mit Hottehü samt lahmen Lagerfeuer. Mal steht Leadsängerin Rebecca Lovell für mehrere Minuten gar fest zementiert hinter ihrem Mikrofonständer – bloß um darauf hin wild herumlaufend mit ihrer wallenden braunen Mähne die Headbanging-Moves früherer Hardrock-Tage aufleben zu lassen. Nicht minder ruhend setzt Megan Lovell per Lap-Steel-Gitarre zur musikalischen Rückmeldung an, in dem sie kernige Klänge aus den Saiten kitzelt, die sich ihr gar schon hingebungsvoll darbieten. Zum Verständnis: Anders als beim gewöhnlichen Gitarrenspiel wird dieses Instrument von der Gitarristin an den Körper gelehnt.

Elektrisierende Vorfreude

Im Vorfeld spürt man unter den zahlreichen Besucher:innen eine kollektive Genuugtung aufgrund einer normalisierten jazzopen. Ohne kleinere Bühne, weniger Acts. Im Gegenteil: Zum diesjährig hochkarätigen Programm gesell(t)en sich Star-Trompeter Till Brönner sowie Joe Jackson im Innenhof des Alten Schloss gegenüber des Schlossplatzes wo sich gestern Nachmittag bereits nicht wenige im Gras hockend die schwach auftretende Sonne ins Gesicht scheinen ließen. Amüsantes Detail am Rande: Der am Sonntag spielende Sting ist seit bereits drei Jahren ausverkauft. Klassische Food & Drink-Stände warteten übrigens mit einer Neuheit auf: Komplett Bargeldfrei. Will heißen: Bezahlung erfolgt konsequent in Plastik. Bevor gegen 18 Uhr der Abend mit der georgischen Sängerin Natia Todua als Supporting Act langsam Fahrt aufnimmt – ruft es mir im Festivalgelände euphorisch entgegen: „Endlich gahts wieda los!“, der urschwäbischen Lebensfreude taten selbst minimale Regenschauer keinen Abbruch.

Während „Larkin Poe“ mit herrlich derben Southern-Rock das Publikum zum regelmäßigen Emotionsfeuerwerk bringt, spürt nahezu jeder – aus diesen Künstlerinnen wird garantiert noch Großes. Bereits 2010 gegründet bekam ihr musikalisches Schaffen jedoch in den letzten Jahren dank Grammy-Nominierung samt Platz 1 der Billboard-Bluescharts erst so richtig Aufwind. Zumal die auftrittslose Pandemiezeit mit populären Streams perfekt genutzt wurde. Gestern Abend verdienten sich die stimmstarken Lowell-Schwestern jedenfalls zurecht neue Fans. Was danach folgte – war kein nächster Act oder der Abschluss eines Musikkonzerts. Keinesfalls. Es war ein musikalisches Erlebnis sondergleichen! Jamie Cullum – der 42 jährige Brite mit der charmant sonoren Stimme flitzte mit einer solch unbändigen Spielfreude über die geräumige Bühne als würde er die letzten zwei Jahre heute und hier nachzuholen versuchen. Beginnend mit schmissigen Hip-Hop lastigen Lines, lässig im schwarzem Jackett und Sonnenbrille im Gesicht, ist sein Piano keineswegs lange ohne ihn. Praktisch den kompletten späten Abend hinweg ohne sprichwörtliche Atempause nimmt sich Cullum mal grandiose Cover wie „The Man“ von The Killers vor oder schickt seine eigenen Songs durch gänzliche andere Genres. Nüchtern betrachtet ist die Bühne für ihn kein Arbeitsplatz sondern ein zuschauerstarker Spielplatz.

Sprung vom Piano

Dazu passend seine sechsköpfige Band bestehend aus jeweils einem Bassisten, Trompeter, Schlagzeuger, Gitarristen sowie zwei Background-Sänger:innen – die allesamt durch Jamie ihren ganz eigenen Spotlight bekamen. So durfte die Trompete in bester Jazz-Manier jegliche Töne von sich geben und der Bass wunderbar smoothe Melodien einflechten durfte. Trotz weit über 6.000 Besucher:innen auf dem Schlossplatz entstanden ganz intime Momente – als der inoffizielle King of jazzopen (sieben Teilnahmen) alleine am Piano sitzend den melancholisch-verträumten „What A Difference A Day Made“ besang. Einer von Cullum’s ersten internationalen Charterfolgen. Der in blau oder rot illuminierte Innenhof fühlt sich in solchen Momenten fast schon magisch unwirklich an. Momente, die im Kopf hängen bleiben. So auch sein traditioneller Sprung vom Piano, übrigens ganze zweimal im Set. Jüngst fasste der unverwechselbare Multiinstrumentalist es gekonnt mit „Stuttgart ist anders!“ zusammen – dies zeigt sich auch am gestrigen Abend. Quasi als verdiente Rückkehr in Richtung Normaliät, wenigstens im Sommer, stand man eng zusammen und staunte über die emotionale Kraft von Live-Musik hithilfe von „Ohohoho„-Chören während seiner Zugabe „Mixtape“. Genauso wie der Künstler im Shirt auch bei hoher Luftfeuchtigkeit schwitzend lässt Jamie Cullum mit dem Satz „I can’t wait to see you next year!“ verlauten, dass dieses audiovisuell gewaltige Erlebnis keinesfalls eine Ausnahme bleiben wird.

Hier findest du unsere vergangenen Musik-Specials.

Benny Illgner

Nachname hielt schon Fußbälle auf. Ich bisher nur virtuell. Sitzt seit 2005 in Digitalien fest und wartet auf den Pannendienst. Steht in fester Beziehung mit Twitter und Instagram. Schreibt Gags fürs Netz und Fernsehen. Nimmt gedeckte Schecks und Pizza gerne auf Twitter unter @IamIllgner an.

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"