Mit „Good Boy“ liefert Ben Leonberg ein durchaus experimentelles Regiedebüt, das sich nicht an den gängigen Mustern des Horrorkinos orientiert. Statt schreiender Opfer und überdrehten Effekten gibt es hier meistens: Stille, Instinkt plus Hundeblick. Leonberg erzählt seinen Film fast vollständig aus der Perspektive eines knuffigen Hundes – eine Idee, die leicht als Gimmick enden könnte, in diesem Fall aber konsequent umgesetzt wird. Nach seiner Premiere auf dem SXSW-Festival gilt „Good Boy“ als einer der ungewöhnlichsten Genrebeiträge des Jahres. Leider zeigt dieses cineastische Experiment auch spürbaren Schwächen – unsere Filmkritik zum etwas anderen Horror – „Good Boy“.
Todd (Shane Jensen), ein zurückgezogen lebender Mann, zieht eilig nach einem gesundheitlichen Schicksalsschlag in das alte Haus seines Großvaters. Begleitet wird er von seinem Hund Indy – einem treuen Gefährten, der sein Verhalten zunehmend verändert sieht, je weiter Todds seelischer wie körperlicher Zustand zu zerfallen droht. Bald wird klar: Etwas Unsichtbares wohnt in den Ecken, etwas, das sich mehr für Todd interessiert, als für den Zuschauer fassbar ist. Aus Indys Perspektive verdichtet sich das Geschehen zu einem psychologischen Albtraum.
Leonberg macht keinen Hehl daraus, dass ihn weniger die klassischen Horrorschemata interessieren als Wahrnehmung und Bindung von Hund samt Herrchen. Die Kamera bleibt in den allermeisten Fällen auf Augenhöhe des Hundes, der Ton folgt seiner sensorischen Logik: So hören wir Stimmen oftmals ungewohnt dumpf und gar verfremdet. Menschen erscheinen häufig nur angeschnitten, Stimmen klingen als entfernte Echos. Dadurch entsteht ein beständiges Gefühl der unmittelbaren Unsicherheit – man sieht, was geschieht, versteht aber nicht, warum. Dieser geschickte Kunstgriff zwingt das Publikum, dieselbe Hilflosigkeit zu teilen wie das Tier selbst.
Die Erzählung bleibt sparsam. Dialoge sind auf ein Minimum reduziert, das Grauen wächst in der dunklen Stille zwischen den Bildern. „Good Boy“ funktioniert weniger über Handlung als über Stimmung. Die angedeuteten übernatürlichen Elemente – Schatten, Schritte, seltsame Reflexe im Glas – sind nie Selbstzweck, sondern Verstärker einer emotionalen Geschichte über Verlust und Loyalität. Käme dieser Effekt nur ein bis zweimal vor, gäbe es keinen Grund zur Kritik. Leonberg schafft trotz Möglichkeiten keinen Bogen in der Handlung, der Spannungsbogen in Form von kleineren Zeitsprüngen am Tag scheinen nur Behauptungen für die fortschreitende Geschichte. Todd kämpft zwar mit seiner Krankheit, Indy mit dem Unverständnis über die Veränderung seines Herrchens. Leonberg nutzt die Beziehung zwischen Mensch und Tier, um Fragen nach Verantwortung und Grenzen der Treue zu stellen: Wie weit reicht Fürsorge, wenn sie auf Angst trifft?
Der Film wagt hierdurch radikale Reduktion – was man als mutig oder ermüdend empfinden kann. Manche Szenen, in denen Indy minutenlang Geräuschen folgt oder regungslos wartet, wirken in ihrer Dehnung fast experimentell. Der Indie-Horrorhit „Skinamarink“ scheint wohl geistiges Vorbild gewesen zu sein. Das Setting, ein älteres Haus irgendwo im Wald neben dem familären Friedhof, inmitten von grauem Nebel ist einnehmend. Die Laufzeit von nur 73 Minuten rettet „Good Boy“ davor zwar komplett in Langeweile zu verenden, doch ein stärkerer erzählerischer Impuls hätte so mancher Passage gutgetan. Das Drehbuch bleibt bewusst vage, vermeidet Erklärungen und vertraut darauf, dass Atmosphäre mehr trägt als Auflösung gegen Schluss. Doch selbst jede Länge lässt sich bestens auf einem Ultra Lux-Sessel im CinemaxX aushalten.
Was den Film trägt, ist die Leistung des tierischen Hauptdarstellers. Indy, ein belgischer Schäferhund, agiert mit einer Präsenz, die den Film emotional erdet. Jede Regung, jeder Blick trägt Bedeutung – ohne anthropomorph überhöht zu wirken. Leonberg verzichtet auf digitale Tricks, vertraut stattdessen auf natürliche Reaktionen und präzises Timing. Unterstützt wird das durch eine visuelle Sprache, die zwischen dokumentarischer Beobachtung und Subjektivität wechselt.
Technisch überzeugt „Good Boy“ durch seine Schlichtheit. Körnige, warme Bilder, lange Einstellungen, minimale Musik. Statt lauter Schockmomente: Schleichende Beklemmung, die sich unbemerkt aufbaut und erst im letzten Viertel vollends durchschlägt. Dennoch ist „Good Boy“ kein Film für alle. Wer im allseits fluiden Horrorkino nach Struktur oder raschem Nervenkitzel sucht, wird hier kaum fündig. Doch wer sich auf die Eigenwilligkeit des Blickwinkels einlässt, entdeckt ein intensives Kammerspiel über Treue, Wahrnehmung und das Fremde. Leider zieht sich der Mittelteil wie zäher Kaugummi. Leonberg beweist Gespür für Nuancen und eine formale Konsequenz, die man im Genre selten sieht.
Good Boy. USA 2025. Verleih: DCM. Regie: Ben Leonberg. Mit Indy (III), Shane Jensen, Arielle Friedman. Genre: Horror. 73 Minuten. FSK: Ab 16 Jahren.
Gibt es eine Post-Credit-Szene? = Nein.
Disclaimer: Vielen Dank an CinemaxX für die freundliche Bereitstellung des Tickets – wir sahen den Film im Rahmen der „Sneak Preview“. Kinotickets für „Good Boy“ gibt es hier.
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