Verrat, Mord und drei Schauspieler:innen in absoluter Hochform: Ausnahmeregisseur Martin Scorsese inszeniert mit dem Kriminalfilm und gleichzeitig auch vielschichtiges Drama einen der stärksten Filme seit vielen Jahren. Weitweg von digitalen Spielereien besinnt er sich auf ausgeklügelte Charaktere und eine Milleustudie, die das Publikum nicht trotz sondern gerade wegen seiner Lauflänge in unglaublicher Sogwirkung umfasst. Unsere Filmkritik zu „Killers of the Flower Moon.“
Ist es in einem vollen Kinosaal dreieinhalb Stunden weitesgehend totenstill, sagt dies in einfacher Hinsicht etwas über den gezeigten Film. Im besten Falle unterhält er. Noch besser: Er fesselt. Das schafft Martin Scorsese mit seinem neuesten Werk. Dieser legendäre italo-amerikanische Regisseur, der es wie kein Zweiter versteht optisch immer aktuell zu sein aber niemals seinen ganz eigenen Stil vernachlässigen. Man denke an das Schwarzweiß-Boxdrama „Wie ein wilder Stier“ oder das herrlich altmodische Remake „Kap der Angst“ und auch in diesem Film bleibt „Marty“ längst nicht nur auf ein Bildformat beschränkt sondern pfeffert seinen Zuschauern die gewaltige Macht des Kino förmlich ins Gesicht. Bereits der Beginn fällt dadurch auf, dass eine rund 10 minütige Sequenz in Originalsprache bzw. indigener Sprache abgehalten wird. Durch den kompletten Film zieht sich tiefer Respekt seitens Scorsese für dieses mit immer schlimmeren Mitteln betrogene stolze naturverbundene Volk. Zumal er vor Veröffentlichung folgendes sagte – „Auf einer tieferen Ebene wünsche ich mir, etwas geschaffen zu haben, was die Osage ansehen, aufnehmen und letztlich akzeptieren können.“ Dies offenbart die Tragweite seines Werks sowie die Motivation dahinter. Mit feinfühliger Gelassenheit reflektiert Scorsese mit langen Kameraeinstellungen das abtriebige Verhalten um sie in nächsten Moment wieder schneller geschnitten zu entlarven. Wobei man hier das IMAX-Format explizit loben muss, selten gab es schönere Panoramabilder zu bewundern, wie hier. „Killers ot the Flower Moon“ lebt von seinen ausdrucksvollen Bildern, welche eine gar schnitthafte Atmosphäre erzeugen. Im Vorfeld holte sich Martin Scorsese die Erlaubnis des Osage-Chiefs „Tanzender Bär“ und konnte zudem eine Vielzahl der Mitglieder auch als Statisten gewinnen.
Nach allem Drumherum schreiten wir doch mal zur Handlung. Als Vorlage dient der gleichnamige, akribisch recherchierte Tatsachenkrimi von David Grann. Im Fokus steht das indigene Volk der Osage, ihr Land bietet reichlich Erdöl-Vorkommen, auf die es der Rinderzüchter William Hale (Robert De Niro) inklusive des damit verbundenen Vermögens abgesehen hat. Denn die Osage waren damalig die Pro-Kopf gerechnet reichsten Menschen der Welt. Nach außen hin, lobpreist er ihre Kultur, spricht fließend deren Sprache – aber hat es natürlich auf seine Vermögenserweiterung abgesehen. Mit dem perfiden Plan soll sich sein frisch zurückgekehrter Kriegsveteranen-Neffen Ernest (Leonardo DiCaprio) in die junge Osage-Indigene Mollie verlieben und heiraten. Plötzlich ereignen sich Mordfälle bei Osage-Mitgliedern. Bald ermittelt das FBI. Für die letztendliche Ausgangslage nimmt sich Scorsese, welcher mit Drehbuchautor Eric Roth zusammen am Skript feilte, wirklich viel Zeit. Zunächst mutet der Film wie ein mit Western-Motiven durchsetztes Aussteiger-Drama an, dessen schauspielerische Qualität von Leonardo DiCaprio als tumber jedoch auch gewitzter Erfüllungsgehilfe konsequent überragend ist. Weitweg vom attraktiven Playboy aus „The Wolf of Wall Street“ (ebenfalls Scorsese) optisch angesiedelt, bandelt er zaghaft mit Lily Gladstone an. Das Casting bewies ein feines Näschen – Gladstone verkörpert ihre Rolle als bestimmte, selbstbestimmte Frau fantastisch und entfesselt im Zusammenspiel mit DiCaprio eine herrliche Chemie, die man schon lange nicht mehr erleben konnte. Zum Ende gesellen sich John Lithgow und Brendan Fraser dazu. Bis in die Nebenrollen gut besetzt. Obwohl „Killers of the Flower Moon“ klare Thriller-Elemente besitzt, ist es kein klassischer „Whodoneit„-Vertreter sondern vielmehr epoachles Krimidrama.
Daneben brilliert ein teuflischer Robert De Niro als gütig dreinblickender Onkel, schlichtweg eine Wucht. 80 Jahre alt aber kein Stück schlechter. Zudem glaubt man jedem Schauspieler:in seine Rolle. Regelmäßig nimmt sich der Regisseur Zeit für pointierte Dialoge. Besonders die Kameraarbeit bedarf keiner Verbesserung, kein Schnitt wirkt unnötig oder brachial. Beispielsweise kommt es zum Streitgespräch zwischen Mollie und Ernest, weil Sie das wertvolle Insulin als Diabetikerin nicht nehmen möchte. Die gesamte Sequenz findet im Schlafzimmer statt und verzichtet auf viele Schnitte sondern hält die Kamera nahezu starr drauf. Dies schafft Intensität. Der Umgang der weißen Eroberer mit den indigenen Völkern Amerikas ist ein sehr düsteres Geschichtskapitel. Dies mildert Scorsese, zum Glück, nicht mit einem seichten Happy End ab sondern schmeckt das letzte Drittel mit klassischen Justiz-Elementen und bitteren Momenten. Zumal das Ende der Handlung ganz anders daherkommt, als gedacht. Die Ausstattung ist erste Sahne. Von indigenen Zelten über die Kleinstadt Fairfax mitten im Umbruch der 1920er Jahre sowie Kleidung der Protagonist. Viel zur generellen Stimmung trägt der unterschwellig mitlaufende Score von Robbie Robertson. Traditionelle Trommeln und indigene Instrumente wie Cajón samt Klangstäbe erzeugen nicht störende Soundkulisse, welche Dialoge nochmal unterstreicht und ganze Sequenzen erst im Kopf hängen bleiben lässt. Rhythmische Abfolgen tragen ebenso zur besonderen Grundatmosphäre von „Killers of the Flower Moon“ bei. Neben der dargestellten Leistung lauern hierfür mit großer Sicherheit einige Oscar-Nominierungen. Scorseses Indigenen-Drama war meine längste Kinositzung und hätte trotz der satten Laufzeit von dreieinhalb Stunden gerne noch 30 Minuten länger dauern können. So geht Kino!
Bemerkung am Rande: Erstaunlich ist trotz manchesmal sehr drastischen Gewaltdarstellungen die FSK-Freigabe ab 12 Jahren. Vermutlich, weil Geschichte, egal wie brutal sie auch sein mag, erzählt werden muss. Wie empfehlen hier ausdrücklich den Gang ins IMAX-Kino.
Killers of the Flower Moon. USA 2023. Verleih: Paramount. Regie: Martin Scorsese. Mit Leonardo DiCaprio, Lily Gladstone, Robert De Niro. 207 Minuten. Genre: Drama / Krimi. FSK: Ab 12 Jahren.
Gibt es eine Post-Credit-Szene? = Ja.
Vielen Dank an Paramount und den Traumpalast Leonberg für die freundliche Bereitstellung des Tickets. Kinotickets für „Killers of the Flower Moon“ gibt es hier.
Hier findest du unsere aktuellen Filmkritiken.
Bei den hier angezeigten Produkten handelt es sich um Affiliate Links, bei einem Kauf unterstützt ihr meine Arbeit. Letzte Aktualisierung 2024-12-06 / Bilder von der Amazon Product Advertising API. Amazon und das Amazon-Logo sind Warenzeichen von Amazon.com, Inc. oder eines seiner verbundenen Unternehmen.