KinoKritiken

Filmkritik zu “Kultourhelden – Vom Ende einer Ära”

Nicht weniger als eine Ode an das reine, echte, unverfälschte Kino – Filmemacher Wolfram Hannemann nimmt sein Publikum mit auf eine ruppig-charmante Fahrt durch kleine schwäbische Örtchen, in denen Kino einzig durch zwei engagierte Wanderkino-Betreiber überhaupt erst vorstellbar ist. Unsere Kritik zur Dokumentation mit gehörigem Sympathie-Einschlag.

Kultourhelden auf Achse

Dokumentarfilme besitzen die einmalige Möglichkeit unbekannte Bereiche unseres alltäglichen Lebens eine große mediale Bühne zu bereiten. Aber so besonders das neueste Werk von Wolfram Hannemann (Lob und Tadel) auch ist, desto simpel beginnt es. Inmitten eines überschaubaren Raumes sieht sich ein fast unscheinbarer Mann, vermeintlich über dem Alter, für welches man ihn spontan einschätzen würde, überlegend um. Mit wenig Mühe hievt er einige Kisten vom Kellerraum, durch die unebene Flecken Wiese in seinen leicht abgenutzten Transporter. Ungefähr 4 Mal geht das so. Währenddessen erzählt er mit unterschwelliger Vorfreude die geplanten Ereignisse der nächsten Stunden. Es geht raus in die Provinz. Open-Air Kino bei besten klimatischen Verhältnissen. Der Ludwigsburger Gerhard Göbelt veranstaltet seit den 1980er-Jahren sogenannte Wanderkino-Vorstellungen. Zeiten, in denen Kinos nicht so hochfrequentiert wie heutzutage zu finden waren, hielten sie das kulturelle Band zwischen klassischen Dorfbewohnern und Städter intakt. Man verhinderte quasi die Ausgrenzung durch den Wohnort – zumindest in Sachen Kino.


Regisseur Hannemann versucht erst gar nicht durch technische Spielereien wie spezielle Bildformate um Applaus zu gieren sondern bedient sich seiner Kameraarbeit mit simplen jedoch wirkungsvollen Mitteln. Als säße der Zuschauer mittendrin findet man auf Beifahrersitzen sowie bei schweißtreibenden Aufbauten irgendwo auf Grünflächen oder Innenhöfen wieder. Dennoch setzt “Kultourhelden” auch kleinere Plotpoints – so auch der schön fotografierte Ausflug zum verträumt wirkenden Bodensee. Stellen Sie sich vor, Sie bauen ein Kreuzfahrtschiff namens “Titanic”, fahren zur Jungfernfahrt Richtung Atlantik und zeigen an Bord James Cameron’s gleichnamiges Meisterwerk. Jetzt tauschen Sie das Oscar-Drama gegen die “Die Fischerin vom Bodensee” und den untergegangenen Kahn gegen einen typischen Ausflugsdampfer ohne Vorkommnisse. Diese Sequenz bildet für mich das Herzstück des Films. Neben Göbelt begleiten wir zudem Klaus Friedrich mit gleicher Berufung. Etwas raubeiniger aber mit schwäbischem Charme ausgestattet tourt er ebenso durch die saftig grünen Ortschaften von Süddeutschland. Fast schon stilistisch porträtiert der Filmemacher einen unspektakulären aber höchst informativen Alltag. So gilt es neben entspannter Gartenpflege zuhause in manchen Stadthallen nach Steckdosen zu suchen oder den immens großen Filmprojektor fachgerecht einzurichten. Verspielt wird die Doku sobald Anekdoten zu den großen Kassenschlagern in herrlich anzusehenden Collagen nochmals dargeboten werden oder verschiedene Farb-Filter sowie klischeehafte Geräusche den Eindruck von Horrorfilmen vermitteln sollen.
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Trotz genügend Aufträgen über das gesamte Jahr, meist in Baden-Württemberg, sparen beide Protagonisten nicht an Kritik. Zu wenige Subventionen durch Gemeinden und immer später erhaltene Lizenzen für ihre sogenannte Einzelveranstaltungen sorgen regelmäßig für verständlichen Unmut. So bleiben die Wanderkino-Betreiber gerade bei großen Publikumshits wie Marvel-Streifen oder auch zurückliegend “Harry Potter” häufig auf der Strecke bzw. dürfen erst ab der 6. Woche beginnen. Erschwerend hinzu kommt das nahende Rentenalter. Wer soll die Arbeit weiterführen? Für kleinere Gemeinden ist die Notwendigkeit klar. Aber in Zeiten von zurückgehenden Kinogängern, bequemer scheinenden Streaming-Services wie Netflix und Co., steht diese alte Lichtspieltradition vor dem Aus. Optisch fallen trotz klarem Low-Budget Niveau eindeutige Schwächen ins Auge, wie teils verwaschene grobkörnige Aufnahmen samt unruhigen Kameraschwenks wobei die vorkommenden Drohnensequenzen zu loben sind. Hannemann’s “Kultourhelden” beleuchtet in rauer authentischer Weise das Leben von den zwei Letzten ihrer Art auf einem charmanten Road-Trip.
Kultourhelden – Vom Ende einer Ära. Deutschland 2020. Regie: Wolfram Hannemann. Mit Gerhard Göbelt und Klaus Friedrich. 105 Minuten. FSK: Ab 0 Jahren.
Gibt es eine Post-Credit-Szene? = Ja.

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Benny Illgner

Nachname hielt schon Fußbälle auf. Ich bisher nur virtuell. Sitzt seit 2005 in Digitalien fest und wartet auf den Pannendienst. Steht in fester Beziehung mit Twitter und Instagram. Schreibt Gags fürs Netz und Fernsehen. Nimmt gedeckte Schecks und Pizza gerne auf Twitter unter @IamIllgner an.

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