KinoKritiken

Filmkritik zu “Oppenheimer” – Wettlauf um Prometheus Feuersbrunst

Nolan zelebriert ein bildgewaltiges IMAX-Spektakel

Ausnahmeregisseur Christopher Nolan inszeniert mit “Oppenheimer” nicht sein innovativstes Werk sondern ein vielschichtiges Biopic rund um den gemeinhin als “Vater der Atombombe” genannten Robert J. Oppenheimer. Ob Hauptdarsteller Cillian Murphy den Vorschusslorbeeren gerecht wird und der Film auf der größten Leinwand der Welt nochmal für Erstaunen sorgt, lest ihr in unserer Filmkritik.

Regentropfen prasseln wie in einer Kür auf einen kleinen Teich. Die dadurch entstehenden Aufschläge finden einen aufmerksamen Zuschauer – den jungen Doktorand und theoretischen Physiker Oppenheimer. Seine durchdringenden blauen Augen verfolgen das Naturschauspiel während bereits hier eine unweigerliche Kettenreaktion im Gange ist. Christopher Nolan gilt als einer der wenigen Autorenfilmer im cineastischen Baukasten namens Hollywood. Mit Kassenschlagern wie “Inception”, “Memento” oder der bis heute nicht nur von Comicfans verehren “The Dark Knight”-Trilogie setzte der britische Regisseur schlichtweg Maßstäbe in Präsentation sowie Storytelling. Nach seinem Hochglanz Sci-Fi Thriller “Tenet” verschlägt es ihn erneut in historische Gefilde vollem unbedingtem Willen und politischen Intrigen. In “Oppenheimer” porträtiert Nolan nicht nur das Leben des bekannten theoretischen Physikers sondern seine brisante Arbeit an der gefährlichsten Waffe der Menschheit.

Der Film selbst wird nicht chronologisch erzählt sondern mehrfach geteilt, fast schon wie die nicht unwesentlichen Atome, in mehreren Etappen. So findet sich ein älterer Oppenheimer im Jahr 1954 in einer Anhörung wieder während der junge Oppenheimer als Doktorand in Göttingen einem Vortrag von Niels Bohr lauscht aber gleichzeitig es in der Anhörung um sein gesamtes Leben inklusive persönlicher wie beruflicher Fehltritte geht. Daher setzt die Produktion ein gewisses Interesse an Geschichte sowie Bereitschaft voraus drei Stunden lang Dialogen zu lauschen, die zwar weit davon weg sind langatmig oder uninteressant zu sein, jedoch kein Effektgewitter wie beispielsweise “Inception” bieten. Das ist auch gar nicht weiter schlimm, da die Szenenabfolge temporeich geschnitten ist und Fragen bzw. Antworten welche vor einer Stunde gestellt wurden erst dann wieder Bestandteil der Handlung werden. Einerseits durch die konsequent verschachtelte Erzählweise von Nolan und andererseits dank eines grandios spielenden Cast – allen voran der irische Schauspieler Cillian Murphy. Seine Darstellung der Hauptfigur Robert J. Oppenheimer ist schlichtweg brilliant. Obwohl er nahezu immer als ewiger Hinnehmer von harten Entscheidungen oder bitteren Situationen verbleibt, arbeitet er wie besessen am “Manhattan-Projekt” irgendwo in der staubtrockenen Wüste von Los Alamo als wissenschaftlicher Leiter um eine Bombe zu entwickeln, die sämtliches Leben auf der Erde auslöschen könnte. Und doch galt als erster Fertigungsgrund eine Waffe gegen Nazideutschland zu besitzen.

Nolan zieht viele Register

Oppenheimer selbst agiert als ambivalente Figur, die trotz Warnungen von Albert Einstein und Niels Bohr weiterhin an seinem tödlichen Unterfangen festhält aber während eine schwierige Ehe mit seiner Frau Kitty (Emily Blunt) führt und einer Liason mit der Kommunisitin Jean Tatlock (Florence Pugh) nicht entgehen kann. Doch Nolan kreiert dank wahnsinnig weitläufigen IMAX-Aufnahmen samt langen Kameraspektiven insbesondere auf die Gesichter der Protagonisten einen herrlichen Sog, sodass bloße Gespräche richtigen Thrill entwickeln. Wobei die enorme Laufzeit von 181 Minuten gut und gerne um 20 Minuten hätte verringert werden können. An dieser Stelle sprechen wir ausdrücklich eine Empfehlung für eine Sichtung in IMAX-Kinos aus, gerade weil Nolan ebenjene analoge Aufnahmen nicht als größeres Bild wahrnimmt sondern jede Sequenz ein wichtiges Signal für die Handlung ist. Seien es kurze Augenblicke oder der spannend eingefangene Trinity-Test – die Bildsprache in “Oppenheimer” ist verworren aber qualitativ ganz oben. Zu Murphy gesellen sich noch Robert Downey Jr. als späteren Kontrahenten Lewis Strauss, der weitweg von gewohnter Coolness spielt. Blunt entfesselt als alkoholkranke Frau von Oppenheimer eine echte Wucht während Florence Pugh ihr sprichwörtlich letztes Hemd für ihre Rolle der Jean Tatlock gibt.

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  • Washington, John David, Pattinson, Robert, Debicki, Elizabeth (Schauspieler)
  • Nolan, Christopher (Regisseur)
  • Zielgruppen-Bewertung: Freigegeben ab 12 Jahren

Im Grunde ist “Oppenheimer” in drei gut getrennte Bereiche unterteilt – beginnt Nolan fast schon als humorvolles Biopic ändert sich dies wenn der Bau der Atombombe in einer neugegründeten Stadt irgendwo in der Wüste bei New Mexiko beginnt – nur um wenig später alles im Polit-Thriller münden zu lassen. Die Optik ist zwar Nolan-typisch, also arbeitet mit ruhigen Kamerafahrten von Hoyte van Hoytema, darf jedoch in grandios gestaltete Panoramen etwa in verlassene Steppen der Wüste wechseln. Dazu implodiert der Film in den ersten zwei Stunden regelmäßig mit seinen dröhnenden kaum länger als Sekunden vergehenden Ausschnitten einer laufenden Explosion. Zeitsprünge werden optisch in Schwarz-Weiß Bildern gekennzeichnet. Auf CGI verzichtet Nolan typischerweise weitesgehend was man dem Film wirklich ansieht – echte Kulissen, heftige Explosionen und handgemachte Effekte. Nicht bloß einmal wird die Kinoleinwand in ein Meer aus flammenden Blitzen und einer überwältigenden Explosion getaucht um das Publikum in den rauschhaften Zustand eines manchmal naiv wirkenden jedoch irrsinnig agierenden Oppenheimer lenkt. In erster Linie ist es ein Film über Physik und deren gewaltsame Praktik. Mal treibend, mal ruhig untermalt Komponist Ludwig Göransson (The Mandalorian) die Szenerie ohne dabei unglückliches Foreshadowing zu betreiben. Nein, “Oppenheimer” hat zwar seine Längen, ist verschachtelt erzählt aber dient als ausdrückliche Warnung an uns Menschen, die seit einigen Jahrzehnten den Schlüssel zur eigenen Vernichtung selbst entwickelt haben. Nolan erinnert uns nur mal wieder daran.

Oppenheimer. USA 2023. Verleih: Universal. Regie: Christopher Nolan. Mit Cillian Murphy, Emily Blunt, Matt Damon. 181 Minuten. FSK: Ab 12 Jahren.

Gibt es eine Post-Credit-Szene? = Nein.

Vielen Dank an den Traumpalast Leonberg für die freundliche Bereitstellung des IMAX-Tickets. Kinotickets für „Oppenheimer” gibt es hier.

Hier findest du unsere aktuellen Filmkritiken.

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Benny Illgner

Nachname hielt schon Fußbälle auf. Ich bisher nur virtuell. Sitzt seit 2005 in Digitalien fest und wartet auf den Pannendienst. Steht in fester Beziehung mit Twitter und Instagram. Schreibt Gags fürs Netz und Fernsehen. Nimmt gedeckte Schecks und Pizza gerne auf Twitter unter @IamIllgner an.

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