Kino

Filmkritik zu „Wir“

Nach „Get Out“ nimmt uns Regisseur Jordan Peele in seinen nächsten Alptraum mit – „Wir“ ist oberflächlich Horror spart jedoch in der Meta-Ebene nicht mit Gesellschaftskritik und Rassismus-Erklärungen. Die Filmkritik.

Kein normaler Horrorfilm

Es bedarf kein Film-Enthusiast zu sein, um zu erkennen, dass der zu recht Oscar-prämierte „Get Out“ aus der Feder von Jordan Peele besonders war. Peele seines Zeichens ein beliebter Comedian in Amerika wollte mit seinem ersten Horrorfilm eben jene festgelegten Grenzen davon aufbrechen. Seien es dunkle Sequenzen mit schockierenden Jump-Scares oder gar der hypnotisierende Klang eines sich bewegenden Löffels am Boden der Teetasse. Zumal der Plot abgegriffen schien: Schwarzer Junge lernt die weiße Familie seiner Freundin kennen. Bis zur überraschenden Schlusspointe hielten sich Humor sowie gekonnt ausgespielte Horrorelemente die Stange. Nun legt Peele mit „Wir“ (Originaltitel: „US“) nach und will die dunklen Stärken weiter ausbauen. Das klappt hier nur stellenweise. Die Handlung ist ebenso simpel wie im Vorgänger: Eine Familie bestehend aus Vater, Mutter und zwei Kindern fahren nach Santa Cruz in ihr Ferienhaus um ein paar entspannte Tage zu verbringen. Doch hat die Mutter Adelaide bereits als Kind dort im Spiegelkabinett eine traumatische Erfahrung erleben müssen. Die Zufälle häufen sich und später am Abend steht bedrohlich eine vierköpfige rotgekleidete Familie in der Einfahrt. Doch was will sie?
Peele eröffnet seinen zweiten Horrorfilm mit einer Texttafel. Vielmehr ist spürbar, dass er jegliche Kreativität unter Blumhouse, als Produzent fungierend, genießt. Minutenlang starrt der Zuschauer beispielsweise auf mehrere Hasen in Käfigen. Mit viel Vorlauf stellt er seine handelnde Familie vor und jedes Mitglied ist sympathisch mit ihren Spleens inszeniert. So versteckt sich der Jüngste Jason (Evan Alex) nur zu gerne im nur von außen öffnenden Kleiderschrank. Passen humorvolle Lines, gerade von Oberhaupt Gabe Wilson (Winston Duke), anfangs noch recht gut ins Gesamtbild wird dieser Fakt schwierig sobald „Wir“ seinen Horror von der Leine lässt. In intensiven Momenten, wo sich die Atmosphäre quasi schneiden lässt, kann Peele es leider nicht lassen einen Gag und noch Gag zu setzen. Hier zerstört der Regiesseur selbst seine eigentlich toll gezeichnete Stimmung selbst. Gut, man kann es als unvergleichliches Stilmittel sehen, jedoch zerstören eben jene erwartete Lacher im Kinosaal die bedrohliche Wirkung. Gegen Ende hin besinnt sich Peele zum Glück und streut solche Spitze nur noch rar aus.
Der Cast ist eine der großen Stärken – Lupita Nyong’o als Adelaine Wilson verkörpert ihre Rolle mit einer greifbaren Tragik, sodass man als Zuschauer selbst kleinste Ängste vollkommen verstehen kann. Winston Duke sorgt für die meisten Lacher wird dadurch, wie bereits beschrieben, leider im weiteren Verlauf etwas unglaubwürdig. Das Drehbuch ebenfalls von Peele ist deutlich freier als „Get Out“ – in seiner Art fast schon vom Mainstream-Kino an die Arthouse-Tür klopfend entwickelt sich der Horror zwar blutiger aber eben auch tiefgründiger. Gerade die Brutalität ist für FSK 16-Verhältnisse oftmals doch recht drastisch. Die Effekte sind handgemacht und wirken authentisch. Musikalisch hört das Publikum in „Wir“ eine grandiose Melange aus andersartigen Klängen von Komponist Michael Abels und im Trailer schon angedeutet „I Got 5 on It“ als psychodelischen Soundtrack zum Finale.

Unser Fazit zu „Wir“

Blutiger, gesellschaftskritischer und an manchen Ecken auch etwas schwächer ist der lang erwartete neue Film von Jordan Peele. Dennoch entfaltet „Wir“ eine selten gewordene Erzählweise im Mainstream-Kino – sich ausreichend Zeit für die Einführung seiner Figuren zu nehmen. Es vergehen gut und gerne 30 Minuten bis überhaupt die eigentliche Handlung beginnt. Dazwischen gibt uns der Regisseur Hinweise und Raum für spätere Interpretationen. Am Schluss verlässt man grübelnd den Kinosaal und fragt sich was man da eben gesehen hat. Mission erfüllt.
Gibt es eine Post-Credit-Szene? = Nein.
Vielen Dank an CinemaxX für die freundliche Bereitstellung des Tickets. Kinotickets für „Wir“ gibt es hier.

Benny Illgner

Nachname hielt schon Fußbälle auf. Ich bisher nur virtuell. Sitzt seit 2005 in Digitalien fest und wartet auf den Pannendienst. Steht in fester Beziehung mit Twitter und Instagram. Schreibt Gags fürs Netz und Fernsehen. Nimmt gedeckte Schecks und Pizza gerne auf Twitter unter @IamIllgner an.

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