Ghostwire: Tokyo im großen TEST – Big Trouble in Little Japan
Sightseeing des Grauens
Resident Evil 4-Mastermind Shinji Mikami setzt ein Horror-Adventure in einem nahezu fotorealitischen Tokyo der Gegenwart um? Da lassen wir uns nicht zweimal bitten! Trotz interessanten Ansätzen entpuppt sich „Ghostwire: Tokyo“ nicht als erhoffter Heilsbringer in Sachen Open-World Grusel sondern kehrt zu Schwächen anderer Studios zurück, die als überwunden galten. Unsere Review zum PS5-Spiel.
Es war einmal in Japan
Japan ist reich an erlebbarer Kultur wie Tempel-Anlagen obwohl man häufig mitten in Großstädten unterwegs ist. Tokio beispielsweise besitzt einerseits mit dem „Shibuya Crossing“ den wohl monumentalsten Zebrastreifen der Welt den täglich Abertausende überqueren, andererseits den bedeutsamen weil ziemlich alten buddhistischen Asakusa-Schrein zur regelmäßigen Meditation. Der Schauplatz lebt von seiner zu spürenden Popkultur – kleine Gassen mit winzigen Supermärkten voller, für westliche Gaumen, fremdartige Snacks wie Chimaki aus Reismehl. Zumal an belebten Orten der technologisierte Fortschritt anhand von übergroßen Anzeigetafeln oder einem flotten WLAN-Netz allgegenwärtig ist. Warum ich mit euch diesen kleinen schriftlichen Exkurs Richtung Japan mache? Shinji Mikami hat eben diese besondere Metropole als Spielwelt für sein neues Horror-Adventure „Ghostwire: Tokyo“ auserkoren. Aber schon zur Vorstellung auf der E3 2019 begleitete mich neben Begeisterung auch eine Handvoll Skepsis. Statt wie im vorherigen „The Evil Within“ durchlaufen wir per Ego-Sicht die Welt und ebenjene sieht neben präsentierter Action ungewöhnlich langweilig aus. Im unserem Test erhärteten sich bestehende Zweifel während sich die anderen in Luft auflösten…wie die Bewohner von Shibuya.
Durch einen plötzlich auftretenden merkwürdig dichten Nebel verschwinden jegliche Bewohner von Tokio. So auch Hauptprotagonist Akito, wäre er nicht im letzten Moment dank eines rabiaten aber gesprächigen Geists namens „KK“ gerettet worden, in dem er Akito’s Körper wiederbelebt weil er sich mit dessen verbindet. Als eher ungleiches Gespann haben beide ein Ziel – den angsteinflößenden Hannya aufhalten. KK aus persönlichen Gründen. Akito wegen dessen entführter Schwester. Die Odyssey beginnt storytechnisch recht dürftig und bleibt es dann leider auch. Während der rund 12 stündigen Kampagne wartet man stets auf den Moment voller nötiger Erklärungen um die zweifellos herrschende Atmosphäre besser greifen zu können, leider versagt hier Tango Gameworks auf ganzer Linie. Aus welchem Grund entführt Hannya ausgerechnet Akito’s Schwester? Warum streunen seltsame Geister in Form von Anzugträgern mit Regenschirmen sowie angreifende kopflose Schulmädchen die Straßenzüge? Mikami und dessen Team versuchen zwar mit geheimnisvoller Verschwiegenheit zu punkten, die jedoch keine Anziehung verursacht sondern recht öde bekannte Horror-Klischees bestätigt. Da „Ghostwire: Tokyo“ auf offene Konfrontation statt gruseligen Stealth setzt, zeigt der sofortige Erhalt einer Attacke nach Spielstart. Dank KK’s Geisteskraft schießen wir mit gespitztem Zeige- samt Mittelfinger sogenannte grünliche Windstöße aka Windweben auf Angreifer. Sieht spektakulär aus, wiederholt sich aufgrund mangelender Abwechslung etwas.
Actionreiches Weben trifft auf Tristesse
Im weiteren Spielverlauf erlernt Akito noch eine Art orange leuchtende Explosionsmacht also Feuerbälle zu formen oder per gebündelten Wasserstrahlen sogar attackierende Geisterwesen zu zerschneiden. Lockert zwar das Gameplay auf, täuscht nicht über dessen häufige Belanglosigkeit hinweg. In den meisten Fällen laufen wir mit Akito zu einem Missionspunkt innerhalb der ausgestorbenen Gebiete, welche von angriffslustigen Geistern bevölkert. Das Kampfsystem ist anfangs spaßig, verkommt nach vielen Stunden zur repetitiven Arbeit, sodass wir oftmals den leichteren Weg über die Dächer nahmen. Richtig gehört! Im 2. Kapitel darf sich Akito gleitend von höheren Punkten fortbewegen. Durch geschickte Sprünge lädt das Gameplay dazu ein Shibuya von oben zu erforschen, um wieder eine ordentliche Fleißarbeit hinten an zu stellen. Mit speziellen Papiertalismane (Katashiro) werden umherschwebende Geister eingesaugt, nicht ein, zwei Mal sondern an nahezu jeder Ecke schimmern blau leuchtende Wölkchen, dazu läuft das Einsaugen nicht flott per Knopfdruck sondern benötigt knapp vier Sekunden. Anders gesagt: Ob schon das Grundgerüst mit dem Abklappen verschiedener Sehenswürdigkeiten mit dürftigen Storybits, behinderte man den verbliebenen Flow durch unnötige Bremsklötze. Dazu zählen auch größtenteils die Nebenaufträge – wenige davon sind packend verfasst und verlassen sich zu sehr auf quantitatives Gedöns wie Areale von Gegnern zu säubern oder simple Sammelorgien.
Während des Streifzuges durch die neondurchfluteten japanischen Gassen, vorbei huschend an Feinden welche dank einer unberechenbaren KI manchmal ungewollt zu Kämpfen zwingen, meint man durch allerlei Torii-Tore in einem Ubisoft-Spiel von vor acht Jahren gefangen zu sein. Getreu dem Motto: Zerstöre das Tor um Teile der Karte aufzudecken. Leider beschränkt sich „Ghostwire: Tokyo“ nicht auf wenige, sinnvoll platzierte Tore zu setzen sondern es im Kapitel 5 als unsägliches Missionsdesign zu verwenden. Gerade zum Ende hin, wird trotz schöner Ideen wie Parallelwelten durch zu miesem Leveldesign der Spielspaß geraubt. Minutenlang durch einen fantasielos gestalteten Wald zu irren, um den Questmarker zu finden ist eben so lahm wie es sich liest. Ganz nett sind die kleinen Supermärkte, betrieben von magischen Katzen, um mit erwerbbaren Snacks die Energieleiste aufzufüllen. Mit gesammelten Fertigkeitspunkten erweiteren wir unsere Fähigkeiten wie größeren Radius für die Geistersicht oder verschiedene Faktoren des ätherischen Webens. Besondere Items wie die Magatama schalten manche Kraftstufen erst frei. Verwirrung stiftet das leicht überfrachtete Fertigkeiten-Menü. Recht farblos dafür bleiben sämtliche Nebenfiguren, die nur durch Stichworte auffallen als wirkliche Vertiefung der Geschichte.
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Gerade diese Tatsache schmerzt extrem, weil aus „Ghostwire: Tokyo“ ein gutes bis großartiges Spiel hätte werden können, wäre man nicht auf die Ubisoft-Formel eingegangen und statt einer ansprechenden aber blassen Open-World auf größere offene Gebiete wie in „The Evil Within 2“. Zu loben ist die exzellente deutsche Lokalisierung mit starken Stimmen u.a. Tommy Morgenstern als Akito. Die häufigen Dialoge mit KK retten über so manche dürre Story-Phase hinweg. Spielerisch weiß Mikami leider nicht, ob er jetzt auf Horror oder sanften actionorientierten Grusel setzen soll, dennoch gleitet die Steuerung angenehm von der Hand. Schnelle Aktionsabfolgen gehen nach kurzer Zeit problemlos über die Bühne. Grafisch überzeugt die leicht modifizierte Unreal Engine 4 durch scharfe Texturen, schöne Feuereffekte sowie gute Weitsicht…solange es nebelfrei ist. In den Kämpfen stellten sich uns merkliche Framerate-Drops in den Weg, zumal manche Objekte relativ spät nachladen. Oftmals bleibt es aber bei den angepeilten 60fps.
Unser Fazit zu „Ghostwire: Tokyo“
Shinji Mikami besaß den Ansporn etwas Neues zu schaffen – tat er. Lohnte sich dieser frisch eingeschlagene Weg? Zweifel sind vorhanden. Die Sightseeing-Tour strotzt vor Hingabe an die Heimat der Entwickler:innen, überzeugt aber selten durch sein reines Gameplay. Viel zu offensichtlich hechelt man Genre-Vertretern nach, die vor einer Dekade damit erfolgreich waren, aber heute aus guten Gründen andere Wege einschritten. Das leicht an Doctor Strange-erinnernde Weben macht anfangs etwas her, verliert durch mangelnde Abwechslung seinen Spirit. Shibuya lockt für Erkundungen, treibt den Spieler durch Sammelaufgaben aber in die Langeweile. „Tokyo: Ghostwire“ ist ein spielbarer Widerspruch.
Entwickler: Tango Gameworks | Preis: 69,99 Euro | Für PlayStation 4|5, Xbox One|Series und PC| USK: ab 16
Ghostwire: Tokyo (PlayStation 5)
Spielspaß - 70%
Gameplay - 68%
Grafik - 79%
Technik - 69%
72%
Passabel
Zwischen Geistern und Grusel-Erkundung! Dürftiger Tokio-Trip mit guten Ansätzen, die größtenteils halbherzig bis langweilig umgesetzt wurden.
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