Rauchig-starke Stimme, großer Hut und eine feste Größe im Italo-Pop – Zucchero beehrte die jazzopen Stuttgart 2025 und bewies eine Sache: Er braucht nur eine Handvoll Gitarrenklänge und ein paar italienische Worte um emotionale Atmosphäre bersten zu lassen. Im Vorfeld eröffneten die Lokalmatadoren von „phil haydt“ und der Italiensche Soulsänger Mario Biondi den sommerlichen Konzertabend im Ehrenhof des Neuen Schlosses. Unsere Eindrücke.
Der Schlossplatz präsentiert sich von seiner festlichsten Seite, als Zucchero zu einem Open-Air-Fest der besonderen Art lud. Unter freiem Himmel, begleitet von milder Abendluft und 7.200 erwartungsvollen Zuschauerinnen und Zuschauern, entwickelte sich ein musikalischer Abend zwischen Blues, Funk und tiefer Emotionalität. Schon der Auftakt hatte Esprit: Die Stuttgarter Band „phil haydn“ eröffnete gegen 18 Uhr mit ihrem sommerlich-lockeren Sound. Der Sänger aus Reutlingen führte mit sympathischer Leichtigkeit durch das Set, das – getragen von zwei Backgroundsängerinnen, weiteren Bandmitglieder:innen und handgemachtem Gitarrensound – das Publikum schnell erreichte. Besonders „Sunny Side Up“ unterstrich die klimatisch sonnige Festivalstimmung. Der Innenraum war hier bereits gut gefüllt, als die junge Band mit sichtlicher Freude ihre 45 Minuten Spielzeit nutzten. jazzopen-Chef Jürgen Schlensog darf man hier gerne in unserem längeren Interview von vor einem Jahr sinngemäß zitieren: „Die jazzopen Stuttgart ist eine Kaderschmiede für junge Talente.“
Danach betrat Mario Biondi die Bühne – schwarzer Anzug, silberne Gürtelschnalle, Sonnenbrille – und wurde frenetisch empfangen. Seine samtig-tiefe Stimme, irgendwo zwischen Barry White und Van Morrison angelegt, trug durch ein Set voller Groove und Italo-Jazz-Anleihen. Biondi wirkte lässig und nahbar, bewegte sich oft an den Bühnenrand, suchte den Kontakt zum aufmerksamen Publikum. Bei „Love is a Temple“ klatschte der gesamte Platz im Takt, bei „Rio“ wurde mitgesungen. „Danke schön, vielen Dank!“, rief er gerührt mit italienischem Tempre – das Licht der tiefstehenden Sonne tauchte alles in goldene Wärme. Rund eine Stunde dauerte sein Set.
Zucchero braucht keine Effekte
Dann, um 20:45 Uhr, der Moment, auf den alle im Innenhof warteten. Zunächst eröffnet, etwas überraschend, Zuccheros Sängerin Oma Jali das Set – dann betritt der Altmeister selbst die Bühne: schwarzes Gewand, Jeans, der markante hellblaue Hut mit schwarz-weißer Feder. Unter dem Schirm lugen braune Haare hervor, zwei Ringe glänzen an seinen Händen. Zucchero wirkt nicht inszeniert – sondern einfach da. Präsenz durch Reduktion. Mit „Hai scelto me“ beginnt er leise, charmant beiläufig. Doch was folgt, ist alles andere als zurückhaltend. Songs wie „Un soffio caldo“, „X colpa di chi“ und „Vedo nero“ entfalten eine musikalische rohe Energie. Die Bluesrock-Elemente schlagen durch, das Publikum klatscht im Takt – besonders bei „Vedo nero“ vibriert förmlich der Platz. Der Bühnenaufbau bleibt bewusst schlicht, keine Showeffekte – nur Musik, Stimme und seine vielseitige zehnköpfige Band.
Der Vater des italienischen Blues singt mit kratziger Intensität, manchmal, als würde er dem Publikum sein Leid direkt ins Gesicht schleudern. Und doch sind da diese zärtlichen, fast zerschmelzenden Momente – etwa bei „Così celeste“ oder „Diamante“. Die Band erhält ihren Raum: der Gitarrist setzt bei „Pene“ ein leidenschaftliches E-Gitarren-Solo, der Trompeter folgt, das Publikum jubelt. Die Streicher verleihen manchen Passagen eine fast filmische Tiefe.

Das rockig-popige kraftvolle „Baila“ versetzt den Innenraum in rhythmische Wallung, seine Spielfreude greift sozusagen auf das Publikum um. Zwischendurch sitzt Zucchero mit Klampfe im Arm wie ein nachdenklicher Maestro auf einem goldenen Stuhl am vorderen Bühnenende. Er spricht mit dem Publikum, teils auf Englisch, mit ironischem Charme: „I keep singing in Italy“, sagt er augenzwinkernd. Als ein Mitschnitt von Luciano Pavarotti zu „Miserere“ eingespielt wird, liegt eine besonders emotionale Stimmung über dem proppevollen Platz. Es wird leise. Bewegte Gesichter, sogar die ein oder andere Träne kullert. Danach eine Pause für ihn – überbrückt mit einem Tina Turner-Cover von „Night Bush City Limits“, bei dem seine Band glänzen darf. Gerade seine Gesangspartnerin Oma Jali liefert hier ein energiegeladenes Bit ab, wie man weder erwartete oder vorausahnen konnte. Ganz ohne den Altmeister ein Highlight der Show.
Zucchero kehrt nun für den letzten Akt zurück – im schwarzen Sakko mit bunten Steinmustern, neuer Hut, neues Kapitel. Das Finale beginnt mit Nachdruck. „Diavolo in me“ wird zur opulenten Mischung aus zünftigem Geschrammel, Funk und Gospel. Der Schlossplatz verwandelt sich kurz zur Südstaatenkirche, das Publikum zu einem offenen Chor. Der vielbeschworene Höhepunkt folgt: „Senza una donna“ als letzte Zugabe – und tausende Telefone, die das Bild für die Ewigkeit festhalten wollen.
- Standardausgabe
- Audio-CD – Hörbuch
- 08.11.2024 (Veröffentlichungsdatum) - Universal (Universal Music) (Herausgeber)
Nach zwei Stunden gegen 22:45 Uhr endet der Abend. Kein Spektakel, keine Effekthascherei – sondern grandiose italiensche Bluesmusik, getragen von authentischer Hingabe und Erfahrung. Die jazzopen Stuttgart erlebten an diesem Samstagabend ihren wohl emotionalsten Abend.
Weitere Termine der jazzopen Stuttgart 2025:
13. Juli – José James & Lionel Richie
Tickets und Infos: www.jazzopen.com
Zu unserem Themenschwerpunkt „jazzopen 2025“.
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