GamingPlayStationTestberichte

Anthem im großen Test

Innovatives Action-Feuerwerk oder monotones Geballer? Anthem ließ uns im Test mit gemischten Gefühlen zurück und konnte trotz guter Grafik sowie neuartigem Gameplay nicht so recht überzeugen. Doch welche Aspekte haben uns genau enttäuscht – der Test verrät sie euch.

Zwickmühle ohne Entkommen?

Bioware ist in der Zwickmühle. Trotz dem fabelhaften Standing als facettenreicher Entwickler wurde insbesondere „Mass Effect: Andromeda“ vor zwei Jahren negativ von Fachpresse sowie Spielerschaft aufgenommen. Durch eine stellenweise unmotivierte Storyline schlug Publisher EA den geplanten Neustart der Serie sogleich in den Wind. Also hieß es bei Bioware frisch ans Werk – zuerst hörte man vom Neu-Projekt „Anthem“ auf der E3 2017. Kurz danach hatten einige Beobachter schon damals den Eindruck, dass man nur zu gerne ein eigenes „Destiny“ aufstellen will. Monat um Monat zogen ins Land und je mehr Infos oder bewegtes Gameplay EA veröffentlichte desto lauter wurden die Stimmen. Erschwerend kommt der Fakt hinzu „Anthem“ ebenso wie bei „Destiny“ für ganze 10 Jahre unterstützen zu wollen. Klingt utopisch – denkt man jedoch an ein „World of Warcraft“, dass aktuell noch immer mehrere 100.000 Spieler pro Monat spielen – ist dieser fromme Wunsch von Publishern durchaus vertretbar.
Anthem möchte als Actionspiel mit Onlineelementen wahrgenommen werden. Kommen wir zur Bioware´s eigentlich größter Stärke – die Handlung: Freelancer in übergroßen Anzügen, genannt Javelins, leben in von Flora und Fauna bewucherten Welt. Die Welt wurde von den Göttern, genannt Shaper, erschaffen. Sie haben dafür die „Hymne der Schöpfung“ verwendet, eine Kraft, die in der Lage ist, zwei Dinge zu tun: Erschaffen und Zerstören. Aus unerklärlichen Gründen sind die Shaper plötzlich verschwunden. Als feindliche Hauptfraktion sind die Dominion im Spiel vertreten. Trotz der unkontrollierbaren Macht wollen sie mit einem eigens gebauten Werkzeug diese nutzen. Als Spieler übernehmen wir die Rolle des vermeintlich letzten Freelancer. Mich beruhigte anfangs, dass meine Figur selbstständig spricht. Nicht wie beispielsweise in „Far Cry: New Dawn“ oder „Metro: Exodus“ wo es recht eigenartig war, dass ausgerechnet meine Hauptfigur kein Wort zu sagen hat. Ein obligatorischer Editor für Hautfarbe sowie Geschlecht darf ebenso wenig fehlen. Problematisch ist die Erzählweise. Werden wir im Intro noch bombardiert mit Infos, die wir ohne Vorwissen weder verstehen noch richtig interpretieren können – passiert danach nichts mehr. Die Hauptstory wird fallengelassen und sich mit dem normalen Alltag in Anthem beschäftigt. Auch wirken vorgestellte Figuren wie Arkanist Owen platt und austauschbar. Von einer spürbaren Entwicklung wollen wir gar nicht erst anfangen. Äußerst schade, dass der Plot nur selten fesselt und sich weit unter dem erwartbaren Bioware-Niveau befindet.

Gleißendes Licht am Horizont

Jedoch gibt es Licht am Horizont. Wörtlich gemeint. Es ist ungemein beeindruckend per Javelin sich Iron Man-haft den monströsen Wasserfall runterzustürzen um sofort zum sichtbaren Missionspunkt zu fliegen. Die Spielwelt von Anthem steht uns sofort offen, erkunden lohnt da sammelbare Materialen und vergessene Lager häufig zu seltenen Gegenständen führen. Sonst wirkt diese Welt unheimlich organisch und voller kreativen Einschüben. Hier ein Klecks „Avatar“ dort reale Vorbilder á la Regenwald. Während anfangs unser Anzug nach wenigen Sekunden überhitzt verbessern wir nach und nach gewisse Bauteile. Laufen wir aber in Fort Basis, unserem Rückzugsort, herum ist es doch stark verwunderlich fast keine ansprechbaren Personen anzutreffen. Optisch mutet die Basis unnatürlich steril leblos an. Mit gefundenen Materialen wie Ember (in verschiedenen Stufen) sowie chimärischen Komponenten basteln wir neue Rüstungsstücke. So könnt ihr völlig frei entscheiden euren Fokus auf Lenkraketen oder Schutzschilde zu legen. Auch findet ihr innerhalb von freien Expeditionen einige Waffen. Zu denen zählen u.a. LMG, Pistolen, Maschinen- oder Scharfschützengewehre. Jede bietet eigene Werte und lassen sich in der Schmiede bearbeiten. Hier darf man zudem kosmetische Upgrades kaufen. Mikrotransaktionen erläutern wir weiter unten. Das Gameplay von Anthem ist mit das Beste am Spiel. Tut man sich in den ersten 30 Minuten noch schwer flutscht es irgendwann. Dann lassen sich auch perfekte Kombi-Optionen in Kämpfen ausführen. Per Knopfdruck aufsteigen, per Faustschlag Dominions & Scars zerstören. Was jedoch nicht über die sagenhaft eiserne Monotonie in Sachen Missionsdesign hinwegtäuscht.
Klassische Mission in „Anthem“ (plus Ladezeiten):
„Finde XY und hole mir Relikt A“
1. Ladezeit
*Spieler läuft zur Schmiede um Setup zu verbessern*
2. Ladezeit
*Spieler ändert Setup*
3. Ladezeit
*Spieler klettert in Jevelin*
4. Ladezeit
*Spieler läuft in Höhle*
5. Ladezeit
*Spieler beendet Mission*
6. Ladezeit
*Spieler reist nach Fort Tarsis*
7. Ladezeit

Ihr merkt schon – viel Zeit zum Nachdenken. Nahezu kindlich möchte Bioware auch Solisten unbedingt in Vierer-Teams zwingen. Entweder mit Freunden oder im Random-Verfahren hetzt man uns von Checkpoint zu Checkpoint – in unserem Test klappte die Zusammenarbeit recht ordentlich was vielleicht daran lag, dass die einzigen Aufgaben aus „Scars abschießen“ und „Türen öffnen“ waren. Falls sich die Gruppe zu schnell bewegt und ihr es nicht schafft aufzuschließen – agiert Bioware gnadenlos und wirft euch kurzerhand aus der Session. Nett. Gerade die oben beschriebene ewig gleiche Monotonie in den Missionen dämpfen den kompletten Spielspaß. Was für den „Destiny-Abklatsch“ spricht sind die auftretenden Bulletsponge-Gegner. Magazin für Magazin fressen nicht nur Elite-Varianten der Widersacher. Okay, in „The Division“ beschwert sich ja auch niemand – aber trotzdem hätte „Anthem“ das Ruder umreißen und andere Akzente setzen können.
Grafisch macht „Anthem“ einerseits in den schon gelobten Außenarealen eine gute Figur während in Fort Tarsis die eigenartig sterile Atmosphäre wartet. Gesichter werden einzig in Zwischensequenzen mit realistischen Ausdrücken sowie Emotionen ausgestattet. Ansonsten lässt die Qualität zu wünschen übrig, Köpfe haben teilweise Knetgummi-Look. Texturen laden häufig gerne nach und Objekte ploppen besonders außerhalb öfter auf. Wie nahezu jedes Blockbuster-Spiel, dass was auf sich hält dürfen wir mit Ingame-Währung Mikrotranaktionen erstehen. Auf Lootboxen verzichtet man, dank „Star Wars: Battlefront 2“, und beschränkt sich nur auf kosmetische Items. Die Ladezeiten bildet aber das größte Manko in „Anthem“. Nach jeder Aktion kommt eine mindestens 15 Sekunden dauernde Zwangspause – absolut nervig. Da die Immersion durch offensichtliche Probleme schon brüchig genug ist, wird sie dadurch vollends zerstört. Dazu gesellen sich Lags, starkes Tearing und nahezu ständige Ruckler. Besonders an Missionsanfängen. Technisch positiv zu erachten sind die wenigen Verbindungsabbrüche. Immerhin. Update 1.04 konnte hierbei nichts ändern.

Unser Fazit zu „Anthem“

Nach 15 Stunden sehen wir den Abspann vom gewollten EA-Heilsbringer in Sachen Online-Shooter. Gelinde gesagt ist es erstaunlich wie wenig Content anhand von kreativem Spieldesign und eigentlicher Handlung benötigt wird, um irgendwie auf die recht lange Spielzeit zu kommen. Antwort: Ewig gleichen Missionstypus abspielen. Bioware ließ mich stellenweise so enttäuscht zurück, dass ich die Konsole abschalten musste. Uninspirierte Figuren, deren Dialoge durchaus Potential zeigen, dass aus Anthem ein wirklich amüsantes Spiel hätte werden können. Vielmehr kratzt man nur an der Oberfläche anstatt tiefer gehend gesellschaftliche Kritik in den Kontext der Geschichte zu stellen. Zahlreiche Kodex-Texte veranschaulichen ein frisches Setting mit interessanter Story – bleibt jedoch weit unter den angestrebten Ambitionen des erfahrenen Entwicklerstudios. Die Spielwelt, so visuell beeindruckend sie auch ist, täuscht nicht über teils katastrophale Probleme hinweg. Einzig das unverkennbare Movement des Javalin ist hier den Kauf vielleicht wert.
Entwickler: Bioware | Preis: 69,99 Euro | Für PlayStation 4, Xbox One und PC | USK: ab 16

Anthem (PlayStation 4)

Spielspaß - 61%
Gameplay - 67%
Grafik - 77%
Technik - 38%

61%

Für Fans.

Ambitioniertes Projekt mit kreativer Spielwelt in der wenig Inhalt und große Probleme für Enttäuschung sorgt.

Mehr Informationen zu unserem Wertungssystem findest Du hier.

Benny Illgner

Nachname hielt schon Fußbälle auf. Ich bisher nur virtuell. Sitzt seit 2005 in Digitalien fest und wartet auf den Pannendienst. Steht in fester Beziehung mit Twitter und Instagram. Schreibt Gags fürs Netz und Fernsehen. Nimmt gedeckte Schecks und Pizza gerne auf Twitter unter @IamIllgner an.

Ähnliche Artikel

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"