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„Days Gone“ im großen Test

Rabiates Horrordrama im zombie-verseuchten Oregon: Entwickler Bend Studio offenbart in seinem PS4-Debüt viele Vorbilder aus dem eigenen Haus. Während Story & Gameplay gelingen, zeigen sich ungewöhnlich starke technische Probleme. Kostet dieser Aspekt dem Sony Exklusivtitel am Ende den Kopf?
Die Sonne geht langsam unter. Es war ein harter Tag. Bereits der röhrende Motor mit seinem unstillbaren Verlangen nach Benzin zeigt erste Ermüdungserscheinungen. Genauso wie der Fahrer. Deacon St. John. Ein Outlaw-Biker wie aus dem Buche. Lederkutte, Tattoos an Armen, Hals und Brust und die Waffen am Gürtel. Die Welt um ihn herum ist grausam. Vielleicht war sie schon immer so. Aber früher gab es wenigstens noch keine unerklärliche Seuche. Nur die Suche nach seiner Lady hält ihn auf dem Bike. Nichts weiter.

Garant für gute Spiele

Exklusivtitel von PlayStation sind für Core-Gamer feststehende Termine im vollgepackten Releasekalender. Neben der jährlichen Vielzahl an neuen Teilen von bekannten Shooter-Serien oder Sport-Spielen sind die storybasierten Games aus dem Hause Sony ein Grund sich virtuell fallenzulassen. Einen Blockbuster erleben. Figuren abseits des Stereotyps erleben. „God of War“ gelang trotz 360 Grad-Kehrtwende das Kunststück langjährige Liebhaber und neue Fans gleichermaßen ins Boot zu holen. Und Hauptfigur Kratos mehr Persönlichkeit einzuimpfen. Oder „Marvel’s Spider-Man“ von Insomniac Games. Ein großartiges Lizenzspiel nach Comic-Vorlage mit der nötigen Leidenschaft sowie toll geschriebener Story um zu begeistern. Nun sollte das, durch den hervorragenden PS Vita-Exklusivspiel „Uncharted: Golden Abyss“ in Erscheinung getretene, Bend Studio ihre große Chance für ein noch größeres Triple-AAA-Spiel erhalten. „Days Gone“ sollte bereits Anfang 2018 erscheinen wurde jedoch immer wieder nach hinten verschoben. Nach einigen Spielstunden erschließt sich wieso der lange Vorlauf sein musste. Dazu später mehr.
Im Fokus von „Days Gone“ stehen die Drifter-Gefährten Deacon St. John und Booze. Beide haben sich mit der gnadenlosen Welt, die einerseits aus Camps mit völlig idealistischen Anführern besteht und sogenannten Freakern, von einem unbekannten Virus befallenen Menschen, die meist in Horden jedes andere Lebewesen angreifen – arrangiert. Als Kopfgeldjäger verdingen sie sich um genug Ersparnisse für ihre anstehende Reise in den Norden zu verdienen. Doch der schmerzhafte Verlust von Sarah, Deacon’s verstorbener Frau, hält sie ebenso wie viele andere Probleme noch davon ab. Die Entwickler lassen anfangs lange im Unklaren, welche Camps es gibt oder als Feind von beiden angesehen wird. Charaktere tauchen gerne auf, sprechen rätselhafte Sätze um nach längerer Zeit eine wichtige Rolle einzunehmen. Kleine Vorwarnung: Nehmt euch Zeit. „Days Gone“ bietet mindestens 40 Stunden Story und hier sind noch keine Nebenmissionen aufgeführt. Bend Studio verlässt sich auf die Neugier der Spieler. Spielwelt von Oregon erkunden und kleinere Boten-Aufträge absolvieren um sich langsam Richtung Storyline vorzuwagen. Dennoch überraschen einige Handlungsstränge. Per Funk halten wir stets Kontakt und bekommen neue Infos. In Zwischensequenzen, gerne von kurzen aber vielen Ladezeiten unterbrochen, erfahren wir mehr über Motivation sowie Wesenszüge unserer Auftraggeber. Das macht überaus menschlich reizt aber in einigen Momenten das volle Potenzial nicht unbedingt aus. Unsere Missionen bestehen meist aus Kopfgeldaufträgen, Finden von speziellen Gegenständen oder Plünderercamps ausräuchern. Während die ersten 2/3 des Spiels da recht erwartbar sind ändert sich dies schnell im letzten Akt, in dem wir zu völlig neuen Orten springen sowie frische Figuren vor uns haben. Mutig. Zumal die Figuren glaubwürdig erscheinen und uns in manchen Augenblicken sogar emotional packen. Nur die vordergründige schwach kritisierte Biker-Thematik könnte Spieler verschrecken.

Deacon Oregon Knight

Während die Handlung eine gute Figur macht ist das Gameplay von „Days Gone“ typisch gehalten. Per Ringmenü (hier Überlebensrad genannt) sortieren wir Waffen, basteln neue Medizin oder Wurfwaffen wie Granaten. Zu Anfang vielleicht etwas überbordend arbeitet ihr euch recht schnell ein. Nur die Shooter-Mechanik wirkt stellenweise zu hakelig und nervt in offenen Gefechten mit Plünderern. Das Waffenarsenal ist klein aber fein. Repetiergewehre, Pistolen, Maschinengewehre und Scharfschüzengewehre bilden den spielerischen Kern. Durch die offene Spielwelt bewegt ihr euch größtenteils mit eurem Bike. Volle Tanks sind also wichtig – Benzin findet ihr immer an festgelegten Punkten auf der Karte. Mit gesammeltem Schrott repariert ihr Schäden durch Crashs oder Freaker-Angriffe. Im weiteren Spielverlauf bessert ihr das Bike bei Mechanikern in verschiedenen Camps auf. Munitionsstände sind ebenso vertreten. Deacon bezahlt mit verdienten Camppoints nach erfolgreich absolvierten Missionen. Besserer Motor, stärkere Bremsen und Lachgas-Einspritzung sind bald unverzichtbar. Oftmals entschleunigt das Spiel spürbar, damit Deacon in regelmäßigen Kopfgeldmissionen Feinde anhand von Fußabdrücken aufspüren kann. Trotzdem lauern euch jederzeit Freaker in verschiedenen Typen auf. In verlassenen NERO-Stützpunkten findet ihr nach etwas Arbeit auch direkte Charakterverbesserungen in Form von Spritzen. Ausdauer, Energie oder Konzentration werden somit pro Injektion deutlich gesteigert. Auf Hirnschmalz-erforderliche Rätseleinlagen wird konsequent verzichtet. Die USK hat mit gutem Recht den Horrortitel erst ab 18 Jahren freigegeben. Viele darin vorkommende Szenen sind drastisch und viele Kills werden blutig ausgespielt. Zumal Themen wie Drogenkonsum oder Gangkriminalität nicht unkommentiert bleiben.
Die Entwickler von Bend Studios hatten schon recht, in dem sie versprachen, dass Alles in der Spielwelt von Oregon uns ans Leder will. Seien es gewaltbereite Plünderer, schreiende Freaker oder selbst nicht infizierte Bären. Alles will Deacon töten. Von Zeit zu Zeit geraten wir auch in Hinterhalte, was oft den unsanften Abstieg vom Bike erfordert und das Säubern des Camps bedeutet. Grafisch beeindrucken scharf detaillierte Straßenzüge voller Autowracks oder purer Natur. Sonnenstrahlen scheinen frech durch Baumkronen während der halb zerstörte Asphalt Reflexionen freigibt. Egal, ob wir staubtrockene Gebiete oder verschneite Gebiete durchfahren jeder Untergrund hat seine Tücken. Gerade der anfänglich starke Spritverbrauch eures Bikes lässt euch oftmals genervt zurück weil er den natürlichen Flow unterbricht – offenbart aber die realistische Problematik. Hier beginnt auch so manch negativer Aspekt. Nach gefühlt zehn bis fünfzig Mal hin und her fahren von Auftraggeber A zu Auftraggeber B ist euch der Weg hinlänglich bekannt und reine Fleißarbeit. Die Schnellreise-Funktion ist hier durch viel zu lange Wartezeiten leider obsolet. Ab Mitte der Handlung konzentriert sich der Hauptstoryfaden zum Glück an einen festen Ort. Bis dahin zieht sich das Spiel etwas. Obwohl die reine Spielwelt nicht allzu zu groß ist. Der Zusammenschluss vieler Freaker ergeben eine Horde, die tatsächlich die größte Gefahr im Spiel darstellen. Entweder hat Deacon einen guten Plan oder als einzige Option bleibt wegrennen. Sehr schnell. Erst gegen Ende gilt es gleich mehrere Horden den Garaus zu machen, jedoch übertreibt man es dann mit Frequenz der Horden-Begegnungen etwas.
Kennt ihr das, wenn ihr etwas unbedingt lieben wollt aber ständig ungewollte Komplikationen diesen Prozess verhindern? In Songs vielleicht ungewollte Solos oder in Filmen nervtötende Schauspieler? In „Days Gone“ sind es die allzu häufig auftretenden Bugs. Technisch ist nämlich das Spiel reichlich schwach auf der digitalen Brust. Erschreckend, da ja gerade PlayStation als Publisher hier bekanntlich penibel auf das abschließende Polishing achtet. Also Tearing, mehrmalige Dropfreezes oder gar unaufgelöste Texturen. „Days Gone“ bietet davon fast alles. Auch nach gefühlt 15 Updates am ersten Wochenende. Beispielsweise folgen wir Campleiter Iron Mike durch ein Gebiet und prompt hindert uns eine unsichtbare Wand vor dem Weitergehen – während das Gespräch natürlich läuft. Nur ein Neustart hilft hier. Erschwerend kommen asynchrone Zwischensequenzen dazu. Abstürze gab es in unserem Test zum Glück nicht. Die Vielzahl solcher Makel sind nicht selten, dennoch gibt „Days Gone“ solch ein hohes Niveau vor, dass sowas umso deutlicher auffällt. Bis auf ein-zwei solch prekäre Situationen konnten wir normal weiterspielen. Ein Multiplayer ist nicht vertreten. Der Score bestehend aus sanften Gitarrenklängen, treibenden Geigenstücken unterstreicht wichtige Storymomente mit perfekter Präzession. Das Hauptthema bleibt hängen und erinnert an die traurig melancholischen Stücke aus dem „The Last of Us“-Soundtrack.

Unser Fazit zu „Days Gone“

„Days Gone“ macht etwas, was leider viel zu wenige Spiele heutzutage noch tun – den Spieler ernst nehmen. Keine hinterlistigen Ideen oder halbherzige seelenlose Storylines. Nein, Bend Studio reißt mich von der Couch in eine düstere Welt voller Argwohn und unsicheren Versprechen. Deacon St. John erlebt eine wahrhafte Odyssey mit gefräßigen Infizierten als Beilage. Positiv sind die menschlichen Figuren mit echten Problemen abseits des typischen Videospiel-Kosmos hervorzuheben. Einmal mehr dürfte man für diese grandiose Weiterentwicklung den Jungs & Mädels von Naughty Dog danken. Trotz technischer Defizite und teils heftiger Grafikausfälle ist „Days Gone“ gerade für Solisten mehr als einen Blick wert.
Entwickler: Bend Studios | Preis: 69,99 Euro | Für PlayStation 4 | USK: ab 18

Days Gone (PlayStation 4)

Spielspaß - 89%
Gameplay - 84%
Grafik - 88%
Technik - 73%

84%

Empfehlung!

Düsteres Rockerdrama mit gnadenloser Spielwelt zwischen packender Story und herben Technik-Macken.

Mehr Informationen zu unserem Wertungssystem findest Du hier.

Benny Illgner

Nachname hielt schon Fußbälle auf. Ich bisher nur virtuell. Sitzt seit 2005 in Digitalien fest und wartet auf den Pannendienst. Steht in fester Beziehung mit Twitter und Instagram. Schreibt Gags fürs Netz und Fernsehen. Nimmt gedeckte Schecks und Pizza gerne auf Twitter unter @IamIllgner an.

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