Ghost of Yōtei im Test / Review – Ungezügelte Rache einer Ronin
Brutale Samurai-Hatz durch beruhigte Landschaften
Wenn ein Studio wie Sucker Punch nach einem zurecht gefeierten Titel wie Ghost of Tsushima einen Nachfolger ankündigt, ist das nicht bloß ein weiteres Open-World-Spiel – es ist eine Art Bewährungsprobe. Fünf Jahre nach dem melancholischen Samurai-Epos schickt uns der amerikanische Entwickler erneut ins historische Japan, diesmal in den frostigen Norden von Ezo. „Ghost of Yōtei“ bildet hier keinen Reboot, kein bloßer Aufguss von bekannten Elementen, sondern eine Weiterführung im Geiste des Originals: Karger, konzentrierter, mit einer rachlüsternen Protagonistin, die nicht über Ehre philosophiert, sondern sie längst hinter sich gelassen hat. Wo Jin Sakai noch mit Moral haderte, watet Atsu längst durchs Blut, mit kaltem Blick und einer Stimme, die mehr sagt, wenn sie schweigt. Unsere Review zur opulenten Open-World Action „Ghost of Yōtei“.
Sucker Punch ließ früher einen maskierten Waschbären durch allerlei Jump’n’Run-Gebiete stehlen oder einen berüchtigten (Anti-)Superhelden über Empire City springen und doch gelang der endgültige Durchbruch für das Studio aus Washington mit einem Abenteuer viele Jahrhunderte zurück. „Ghost of Tszushima“ entschied sich für die Zäsur, ähnlich wie „Guerilla“ mit „Horizon Zero Dawn“ wurde nicht auf Evolution statt Revolution gesetzt. Im Nachfolger darf daher die Frage erlaubt sein: Was ist Neu? Die Geschichte der neuen Produktion beginnt mit einem Massaker. Atsus Familie fällt einer Bande maskierter Mörder zum Opfer – den sogenannten Yōtei Six – deren grausame Taten sich wie ein dichter Schatten über das Land legen. Aus der Asche ihrer Kindheit formt sich ein Leben im Zeichen der Rache. Jahrzehnte später zieht Atsu als Auftragskämpferin durch die verschneiten Täler des 17. Jahrhunderts, eine Gejagte und Jägerin zugleich. Die Prämisse klingt daher vertraut – Tarantinos „Kill Bill“ trifft auf Kurosawas „Yojimbo“ – doch die Inszenierung ist von jener kontrollierten Eleganz, die Sucker Punch bereits im Vorgänger meisterhaft beherrschte.
Dass die Handlung zunächst konventionell anmutet, ist kein Zufall. Erst in der zweiten Spielhälfte bricht „Ghost of Yōtei“ mit seinen eigenen Erwartungen. Rückblenden, die über das Touchpad des DualSense angesteuert werden, lassen Spieler:innen in Atsus Kindheit eintauchen – zarte Szenen zwischen Kirschblüten und Düsternis. Diese Momente, in denen Vergangenheit und Gegenwart ineinanderfließen, verleihen der Rachestory enorm an Gewicht. Besonders stark ist das, wenn alte Weggefährt:innen plötzlich als Visionen im Jetzt erscheinen – als Gespenster eines Lebens, das nie Ruhe fand.
Was „Ghost of Yōtei“ erzählerisch auszeichnet, ist nicht seine Originalität, sondern seine Konsequenz. Atsu ist kein klassischer „Ghost“ im Sinne von Tsushima, sondern eine Entität des Übergangs. Ihre gefühlige Kälte ist nachvollziehbar, ihr ozeanartiger Zorn mehr als verständlich. Schauspielerin Erika Ishii verleiht ihr eine Präsenz, die das Spiel trägt – eine Antiheldin, der man nicht verzeiht, sondern zusieht, wie sie langsam versteinert. Doch das Spiel bleibt nicht in seinem Schmerz stecken. Wer die verschneiten Ebenen rund um den Berg Yōtei erkundet, entdeckt eine Welt von betörender Schönheit. Das Licht fällt auf die Baumwipfel, Schneeflocken tanzen über verlassene Dörfer, und irgendwo in der Ferne bellt ein Wolf. Die Natur ist hier mehr als Kulisse – sie ist Mitschöpferin.
Spielerisch bleibt Sucker Punch seiner Linie treu, wagt aber punktuelle Neuerungen. Die Kämpfe sind weiterhin auf Paraden, Präzision und Timing ausgelegt, doch das Waffenarsenal ist deutlich erweitert worden. Neben der vertrauten Katana führt Atsu eine Odachi, eine Yari-Speerlanze, das Kettensensen-Duo Kusarigama und im späteren Verlauf zwei Katanas für den kompromisslosen Nahkampf. Jede Waffe will erlernt sein – durch Besuche bei Meistern, die über das Land verteilt sind. Easy to learn – hard to master.
Kampfsystem mit Tücken
Das Kampfsystem ist fordernd, aber nicht unfair. In den klassischen Duellen gegen Generäle, die doppelt so groß sind wie Atsu, entscheidet oft ein einziger blutiger Treffer. Doch Sucker Punch gönnt der Spieler:in eine gewisse Lernkurve: Wer Geduld hat, findet Rhythmus in der Brutalität. Mit wachsender Erfahrung öffnet sich ein Arsenal aus Fernkampf- und Hilfsmitteln – Rauchbomben, Kunai, brennende Klingen, gar eine frühe Flinte, die dem Spiel eine leicht anarchische Note verleiht. Allerdings nutzt sich diese Routine über Zeit ab. Nach rund zwanzig Stunden verliert der Adrenalinschub etwas an Wirkung. Paraden, Konter, Wurfgeschosse – all das bleibt effektiv, aber irgendwann auch konkret mechanisch. Das Kampfsystem von „Ghost of Yōtei“ ist ein Ritual, das man zu gut beherrscht, um noch überrascht zu werden.
Was das Spiel jedoch vor der Beliebigkeit bewahrt, ist seine Welt. Sucker Punch verzichtet auf Markerfluten und Checklisten. Eine dichte Nebeldecke liegt über der Karte, die sich nur durch tatsächliches Erkunden lichtet. Neue Hinweise auf die Yōtei Six erhält man, indem man Dorfbewohner:innen hilft, feindliche Spione fängt und befragt oder Artefakte untersucht. Dadurch entsteht ein organischer Spielfluss: Man reitet, man entdeckt, man bleibt hängen. Die vertrauten Aktivitäten – Bambusschläge, Fuchs- und Wolfshöhlen, Schreine – sind wieder da, aber behutsam erweitert. Neu sind Sumi-e-Malereien, bei denen man das Touchpad nutzt, um Tuschebilder anzufertigen, sowie Kochstellen in den Lagern, deren kleine Buffs kaum spielentscheidend, aber atmosphärisch reizvoll sind.
Besonders beeindruckend ist die Nutzung des DualSense. Sucker Punch schöpft das haptische Feedback konsequent aus: Sirrende Nachhallen einer Klinge, das Knacken gefrorener Äste unter unseren Füßen, die Spannung eines Bogens. Selbst das Touchpad dient nicht nur zur Navigation, sondern als Fenster in Atsus Erinnerungen, zum Streichen, Malen, Musizieren. Ein fast altmodischer Einfallsreichtum, den viele Studios leider längst aufgaben.
Technisch bewegt sich „Ghost of Yōtei“ auf hohem Niveau. Im Klaren bedeutet dies ihr dürft Atsu Rachepfad ohne Unterbrechung in einem Stück erleben. Ladezeiten sind kaum existent, die Bildrate bleibt stabil, und die drei visuellen Modi – angelehnt an Akira Kurosawa, Takashi Miike und Shinichirō Watanabe – verwandeln das Spiel in drei verschiedene Filme: Mal streng monochrom, mal brutal und eng gerahmt, mal leicht entrückt mit lo-fi-Musik und weicher Kinematik. Diese Hommage an das japanische Kino ist mehr als Gimmick – sie ist eine Liebeserklärung an die Ästhetik, die das Genre überhaupt erst prägte. In jenen Momenten, wenn Atsu allein durch den Nebel schreitet und das Spiel stumm wird, zeigt sich die Stärke von „Ghost of Yōtei“: Ein Gespür für Raum, für Schweigen, für das, was zwischen zwei Hieben liegt. Für die Hauptkampagne benötigt ihr jedoch rund 35 Stunden.
Doch so sehr das Spiel in seiner Atmosphäre brilliert, bleibt es im Design oft gefangen. Kletterpassagen, Schleichrouten, austauschbare Lager – das kennt man. Zu oft wirkt die offene Welt wie ein gut geöltes Uhrwerk, dem die Überraschung abhandengekommen ist. Die Struktur des AAA-Open-Worlds: Skilltrees, Sammelobjekte, kosmetische Rüstungen. Alles da, alles funktional, aber selten inspirierend. Und trotzdem – trotz dieser bekannten Mechanismen – entsteht etwas Eigenes. Vielleicht, weil „Ghost of Yōtei“ das, was es tut, mit solcher Überzeugung tut. Weil es die Geste der Wiederholung akzeptiert, ohne sie zu verstecken.
- Ein episches Action-Adventure im feudalen Japan, 300 Jahre nach Ghost of Tsushima, mit der einsamen Kriegerin Atsu auf ihrem Weg zur Vergeltung
- Erkunde atemberaubende Landschaften rund um den Berg Yōtei mit verschneiten Gipfeln, Wildblumenfeldern und endlosen Grasebenen
- Meistere ein vielfältiges Waffenarsenal einschließlich Doppelkatanas, Odachi und Kusarigama in dynamischen Kampfsequenzen
Am Ende bleibt Atsu nicht erlöst. Ihr Weg führt nicht in den Frieden, sondern in die Erkenntnis, dass Rache kein Ziel ist, sondern eine Bewegung, die sich selbst verschlingt. Diese Schwere mag manche Spieler:innen ermüden, doch sie ist auch der Mut dieses Spiels: Keine simplen Heldenreisen, keine moralische Reinigung per Absolution. Nur der Schnee, das Blut und das leise Klirren von Stahl. „Ghost of Yōtei“ ist das, was man ein reifes Sequel nennt. Es korrigiert die Schwächen seines Vorgängers, ohne dessen Probleme zu übernehmen. Es zeigt, dass auch ein westliches Studio japanische Zurückhaltung inszenieren kann, ohne sie zu fetischisieren.
Unser Fazit zu „Ghost of Yōtei“
„Ghost of Yōtei“ ist kein Revolutionär – eher ein stiller Meister. Es perfektioniert, wo andere nur polieren. Wer sich auf Atsus Reise einlässt, findet ein Spiel, das weniger vom Sieg erzählt als von der Beharrlichkeit des Scheiterns. Und manchmal ist genau das die größere Wahrheit.
Release: 02.10.2025 | Entwickler: Sucker Punch | Genre: Action-Adventure | Preis: 79,99 Euro | Für PlayStation 5 | USK: ab 18
Ghost of Yōtei (PlayStation 5)
Spielspaß - 89%
Gameplay - 92%
Grafik - 94%
Technik - 90%
91%
Ausgezeichnet!
Der Weg der Rache als kompromisslose Samurai-Action: Sucker Punch verbesserte das Gameplay, würzte es mit mehr Kontrolle in Kämpfen ab und sorgt dank einer abwechslungsreichen Open-World für interessante Erlebnisse.
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