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„Saints Row“ im großen TEST – Flott vergeigtes Reboot

„Saints Row“ gehört zu den bekanntesten Open-World Vertretern im Stile des Klassenprimus „Grand Theft Auto“ – ganz im Zeitgeist starten die Entwickler der originalen Reihe Deep Silver Volition jetzt ein Reboot und verlagern den abgedrehten Gangkampf in die Wüstenstadt Santo Ileso. In unserem ausführlichen Test stellte sich das als kein sehr gut überlegtes Konzept heraus.

Es war Zeit. Nein wirklich, manchmal schreien Spielereihen trotz so mancher cleveren Idee nach konsequentem Neustart. Schluss. Ende. Sozusagen den Nothalt betätigen, alles auf Werkeinstellungen setzen. Mit dem 2006 gestarteten Open World-Titel „Saints Row“ startete das noch kleinere US-amerikanische Entwicklerstudio Volition den kühnen Versuch der damals sehr etablierten „GTA“-Reihe einen spielerischen Herausforderer zu bieten. Hier galt es etwa nicht alleine den kriminellen Thron der Stadt zu besteigen sondern gleich eine komplette Straßengang mitzunehmen. Den Realismus tauschte man gegen überzeichnete comichafte Grafik ein, setzte trotz Einfallsreichtum bei den „Third Street Saints“-Charakteren auf bekanntes wenngleich schnödes Missionsdesign. In weiteren Teilen führte man den Grad an kollektivem Wahnsinn der Superlative über Dildo-Kanonen und noch grenzdebil geschriebenen Figuren unweigerlich bis zum Höhepunkt – der mit „Gat Out of Hell“ seltsame Fantasy-Feder tragend in der Hölle endete. Kleines Geständnis: Trotz mehrheitlich klarer Meinung, eher ein salopp gesagt beschissenes Spin-Off vor sich zu haben, strudelte ich damals in einen intensiven Rausch bis zum Abspann damit. So ist vermutlich auch meine Toleranz gegenüber dem „Saints Row“-Reboot erklärbar.

Seien wir ehrlich – dieser Neustart klappert an allen möglichen Stellen. Die Storyline rund um unsere namenlose Protagonistin, die sich eine hipsterartige WG mit drei anderen Charakteren teilt, deren Verhalten kaum stereotyper hätte ausfallen können und jeweils anderen Gangs der Stadt angehören, ist zwar stimmig aber so emotional wie ein nasser Schwamm. Als dann der Wunsch herausbricht eine eigene beherrschende Stadtgang zu gründen, geht die Lutzi natürlich erst so richtig los. „Saints Row“ fängt serientypisch actionreich-chaotisch an und führt unsere je nach gewählter Stimme sympathisch ein, in dem Sie nach beruflichem Misserfolg auch mal eine Autofahrt lang durchflucht. Das ist witzig! Danach verkommt das Storytelling so gar nicht in Fahrt, Figuren entwickeln sich kaum weiter und nahezu jede Aktion, egal wie erfolgreich sie ist, fühlt sich belanglos an. Ärgerlich, weil Volition wieder mal ein gutes Auge für verschrobene Charaktere beweist, aber kaum etwas daraus macht. Da findet sich beispielsweise Oberboss Atticus Marshall, dessen Truppe *räusper* Gang so etwas wie die Polizei von Santo Ileso darstellt, der außer seiner Attitüde als alter, weißer Waffennarr herumzurennen nichts mitteilt. Selbst unsere „besten Freunde“ könnten kaum gleichgültiger geschrieben sein, weil sie einem drei Minuten nach Beenden des Spiel nicht im Kopf hängen bleiben.

Offene leere Spielwelt ohne Anreiz

Das gleiche Problem führt die offene Spielwelt von Santo Ileso fort – diese ist zwar lobenswert klein und damit konzentrierter gehalten, spielt jedoch viel zu selten ihre Vorzüge mit ihrer weitläufigen hügeligen Wüstenlandschaft aus. Aus drei Teilen besteht sie – durch Brücken und Canyons ist sie miteinander verbunden. Ein Bereich erinnert stark an das Zockerparadies Las Vegas während unsere Schritten durch mexikanisch angehauchte Straßenzüge führen. Terrakotta-farbene Kacheln vermischt mit Gardena-Interior fangen den angepeilten südamerikanschen Stil gut ein. Leider reagieren die, für ein Next-Gen Titel, Passanten überhaupt nicht auf uns und das Aufkommen ist auch schwach. Die Welt wirkt hierdurch extrem leblos. Nur bei Schießereien rennen sie schreiend weg. Womit wir zum nächsten Problem kommen: Das Gameplay. Leider entzieht sich mir die Kenntnis was das Studio in den letzten Jahre so trieb – an spielerischen Faktoren gearbeitet wohl nicht. Undynamisches Gezuckel gepaart mit wackeligem Gun, sodass jede feindliche Konfrontationen nicht mit Zielgenauigkeit sondern dem schnelleren Triggerfinger entschieden wird. Zudem fühlen sich gemeinhin alle Waffen im Arsenal wie Erbsenkanonen an. Wo bleibt die brachiale Härte einer Schrotflinte? Wo das Momentum der Pistole? Durch freischaltbare Fähigkeiten kommt immerhin etwas Abwechslung in die ewig gleich ablaufenden Schießereien, wieso man nur eine Trittattacke als Primäraktion auslösen darf und Finisher-Moves (viel zu langen!) mehrsekündigen Animationen in hektischen Kämpfen abspulen bleibt wohl ein bitteres Geheimnis.

In knapp 30 Missionen erkämpfen sich die Saints, allen voran unser Charakter, den Thron der Stadt. Als Menü dient unser Smartphone was wir jederzeit aufrufen dürfen. Neben einer sehr umständlichen Kartenansicht gilt es darüber neue Aufträge aufzurufen oder unseren Style über den ausführliche Editor zu bearbeiten. Kleinste Detail wie die Breite der Nasenlöcher über das Geschlecht samt Pupillenfarbe ist darüber einzustellen. Sogar vier verschiedene Stimmfarben spendieren uns die Entwickler. Beim allgemeinen technischen Zustand hätte man sich ähnlich viel Hingabe gewünscht – „Saints Row“ ist in seiner jetzigen Version merklich verbuggt. Fehlender Ton ist das Eine. Zusätzlich jedoch regelmäßig derbe Clippingfehler, kaum funktionierende Missiontrigger und sogar innerhalb von längeren Missionen seine Waffe nicht mehr abfeuern zu können, liegt an der Grenze der Unspielbarkeit. Erschwerend kommt hinzu Rücksetzpunkte innerhalb von teils 40 minütigen Missionen werden im Spiel nicht gespeichert. Selbst meine „Guilty Pleasure“-Toleranz war kurzzeitig davor abzubrechen. Hinzu kommen nicht vollständig geladene Texturen oder obskure Bewegungen mancher Figur innerhalb der Zwischensequenzen. Durch Verzicht auf feste Framerate-Grenzen flukturiert je nach Aufwand die flüssige Darstellung. Dieses Spiel erschien definitiv ein Jahr zu früh.

Angebot
Saints Row Day One Edition (PlayStation 5)
  • Originelle Blockbuster-Story voller Kriminalität, außergewöhnlicher Szenen und gewohnt krasser Wendungen mit einer ordentlichen Prise Humor
  • Entdecke den etwas anderen Wilden Westen - Tobe dich in Santo Ileso, dem größten und besten Saints-Row-Schauplatz aller Zeiten, aus
  • Schieße mit Revolvern aus der Hüfte, feure mit einem Raketenwerfer oder vernichte Nahkampf-Schwergewichte aus nächster Nähe mit Takedowns

Aber dann erleben wir großartig inszenierte Story-Aufträge, wo wir per Dixiklo am Auto angeseilt über ein Festivalgebiet einer verfeindeten Gang-Sippe dem darin befindlichen Typen wichtige Informationen locken sollen und dazwischen explosives Chaos zu laut aufgedrehter Heavy Metal-Mucke veranstalten. Oder von hinten einen Schnellzug kapern sollen aber uns einige Augenblicke später in einem Panzer angreifende Gegner dem Erdboden gleichmachen. Oder nach beruflichem Desaster uns kaum aus dem Bett aufraffen können und uns selbst der letzte French Toast nach mehrmaligem Versuch eiskalt im Stich lässt. All solche Momente bietet „Saints Row“ abseits der kolossalen Schwächen nämlich auch – man versteht nicht warum Volition sich bei seinem bewusst entschiedenen Reboot nicht darauf konzentrierte. Herrlich menschliche Takte, weitab vom schrägen Hipster-Lifestyle. Während Nebenaktivitäten wie Food-Trucks klauen bereits vorgelesen Langeweile versprühen – stach die Nebenmissionskette rund um ein Fantasy-Rollenspiel im Stile von „Game of Thrones“ und „Mad Max“ als Oase in der Wüste heraus. Als Ödländer von Schloss Kraken gilt es nämlich die zwei rivalisierenden Königreiche durch List zu übernehmen. Leicht an „Tiny Tina’s Wonderland“ erinnerend spielen nämlich alle Charaktere eine Rolle – bleihaltige Waffen werden Nerf-eske Geschosse und alle spielen ihren „Tod“ übertrieben amüsant. Die Autokämpfe mit Pappmache verzierten Mini-Vans nicht zu vergessen. Tragisch, dass diese vier Missionen am Rande besser als die komplette Kampagne war.

Unser Fazit zu „Saints Row“

Nach dem enttäuschend öden „Agents of Mayhem“ besaß Deep Silver Volition eigentlich alle sich bietenden Chancen. Das Reboot der durchgeknallten aber beliebten „Saints Row“-Serie für eine neue Generation? Klingt gut. Den Chaos-Faktor aber so weit hinunter zu schrauben und dafür weder besseres Gameplay, emotionaleres Storytelling oder gar eine lebendige Spielwelt zu bieten – ist wahrlich schade. Gerade, weil es das Studio in kurzen Momenten zulässt vom sturen Kurs abzuweichen und Ödländer-Nonsens oder eine genervte Antiheldin präsentiert. Stattdessen wirkt dieses neue (!) Abenteuer wie ein laues Remastered von vor einigen Jahren aus. Der grau-braune grafische Einheitsbrei passt dazu. Wo war der Mut für derartige Entscheidungen? Am Ende bleibt „Saints Row“ ein Open-World Spiel unter vielen – aber technisch weit unter Standard.

Entwickler: Deep Silver Volition | Preis: 69,99 Euro | Für PlayStation 4|5, Xbox One|Series und PC | USK: ab 18

Saints Row (PlayStation)

Spielspaß - 52%
Gameplay - 67%
Grafik - 58%
Technik - 52%

57%

Für Fans

Dürftiges und mutloses Reboot der "Saints Row"-Reihe, das manchmal glanzvolle Momente bietet aber durch arge technische Probleme kaum überzeugt.

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Benny Illgner

Nachname hielt schon Fußbälle auf. Ich bisher nur virtuell. Sitzt seit 2005 in Digitalien fest und wartet auf den Pannendienst. Steht in fester Beziehung mit Twitter und Instagram. Schreibt Gags fürs Netz und Fernsehen. Nimmt gedeckte Schecks und Pizza gerne auf Twitter unter @IamIllgner an.

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