Watch Dogs: Legion im großen Test – Kampf dem Überwachungsstaat
Watch Dogs: Legion: Dieses Szenario hätte George Orwell sicher gefallen: London als totaler Überwachungsstaat ohne Skrupel gegenüber den eigenen Bürgern. Ubisoft baut ein starkes Grundgerüst für einen Hacker-Thriller, verstrickt sich aber in spielerischer Ödnis und viel ungenutztem Potenzial. Unsere Review zum neuen „Watch Dogs“.
Wuseliger Einstieg
England, London. Die Metropole mit dem wuseligen Straßenverkehr, noch wuseligeren Passanten und der wohl schmucksten Uhrenturm von Europa – dem Big Ben. Hier atmen die Gassen den intensiven galligen Geruch von Guy Ritchie-Filmen vermengen sie mit dem glamouröseren Glanz der zeitlosen „James Bond“-Abenteuer. Und natürlich jede Menge alter Edgar Wallace-Stoffe, die mit dichtem Nebel sowie Toten an der Themse noch heute für Spannung sorgen. Das Setting mehr als geschickt, um einen düsteren Hackerthriller zu erzählen, in dem thematisch die Bandbreite von Organhandel bis hin zu geheimnisvollen Untergrund-Organisationen führt.
Wir sind in Europa unterwegs
Dachte man sich ebenso im Hause Ubisoft, verlegte die Storyline aus den Vereinigten Staaten in den frisch abgespaltenen Teil Europas. Doch irgendwie scheint Ubisoft im Hinblick auf das deutlich zeitaufwendigere „Assassin’s Creed: Valhalla“ jegliche Detailtiefe oder nötige Abwechslung innerhalb der Kampagne in „Watch Dogs: Legion“ komplett vergessen zu haben. Teilweise stellten wir erschrocken während unseres Tests fest, wie rotzegal es Ubisoft eigentlich gewesen sein muss technische Makel auszubessern oder halbwegs interessante Figuren zu etablieren.
Dedsec-Mitglied mit Agenten-Vergangenheit
Kommen wir zur nicht lapidar-gestalteten Storyline, die im Vorfeld quasi die gesamte PR überzog. In bester Bond-Manier schlängelt sich ein rekrutiertes Dedsec-Mitglied mit Agenten-Vergangenheit, dem sein Name sowieso Schall und Rauch ist, durch die Kanalisation der Großstadt. Leider verhindert er trotz Bemühungen nicht einige Bombenanschläge in London. Die Schuld geben Ermittler dem Hackerkollektiv DedSec, die jedoch nichts damit zu haben stattdessen ein anderer Hacker namens „Zero-Day“. Das Motiv unklar. Hinzu kommt noch die skrupellose Sicherheitsfirma „Albion“, die alternde Gangsterbraut Mary Kelley und weitere feindliche Gruppierungen, die London am liebsten für sich alleine beanspruchen wollen.
Eher schwammiges Gameplay
So kommt es, dass „Watch Dogs: Legion“ keine zentrale Hauptfigur in den Raum stellt sondern uns Agenten spielen lässt, die wir mal selbstständig oder durch Hauptaufträge ins Team bekommen. Wurde vor einigen Monaten noch geprahlt – wirklich jeden Passanten auf Londons Straßen rekrutieren zu können, stimmt dies zwar aber das war es dann auch. Heißt: Jeder NPC hat vorgefertigte Waffen bzw. Fähigkeiten, die wir nicht ändern können. Nur anhand von gefundenen Technikpunkten schalten wir neue Geräte sowie Skills frei, die dann für alle Agenten im Team gelten. Das Gameplay spielt sich hingegen schwammig, da Shoot-Outs auch mit Übung schnell hektisch ausarten.
London als halboffene Welt
Was wären Ubisoft-Titel ohne dazugehörige Open-World? Natürlich lockt allein das britische Setting für einige Entdeckungen ins digital nacherbaute London. Und tatsächlich traf man den richtigen Ton. Kleine Gassen führen zu vielbefahrenen Straßen, die wiederum den Blick auf bunte Werbetafeln am Piccadilly Circus lenken. Oder das schimmernde Wasser der Themse im Sonnenlicht tagsüber während spätabends im hippen Stadtviertel Camden die grafftiübersäten Wände durch Neonlicht erst sichtbar werden. Das Studio saugt mich rein ins Erlebnis, aber schlägt mich mit spielspaßraubenden Momenten, von denen es viele gibt, wieder weg.
Der Zero-Day
Das Missionsdesign in „Watch Dogs: Legion“ läuft in 97% der Fälle so ab. Geh nach A, hacke mithilfe deiner Gadgets das System, hol dir alle Daten, komm zurück oder fahr dort hin. Nach ca. drei Stunden war ich dank nichtssagenden Figuren, die bis auf etwas Background kaum der Rede wert, genug. Zwar gibt es recht ansehnliche Zwischensequenzen mit unseren Gegenspielern, die leider auch so eindimensional bleiben. Mary Kelley arbeitet mit Albion zusammen. Aha? Warum. Ja, sie leitet nebenbei noch Organhandel mit Flüchtlingen. Nachvollziehbare Gründe für solche Handlungsfäden bleiben uns da verborgen. So plätschert man von Auftrag zu Auftrag um „Zero-Day“ aufzuhalten.
Poppige Jump n’Run-Einlagen
Positiv: Aus Langeweile oder dem Konzept geschuldet ließ man nervige Rollenspiel-Elemente weg. Es finden sich keine auflevelbaren Figuren oder könnt nicht bestimmte Talente ausrichten. bei „Watch Dogs: Legion“ handelt es sich um ein klassisches Action-Adventure. Nebenmissionen sind auch vorhanden – so gilt es per Drohne Pakete auszuliefern, obligatorische Drogentrips mit poppigen Jump n’Run-Einlagen zu meistern oder Kämpfe im „Bare Nuckle Club“ auszufechten. Faustkämpfe um XP und Technikpunkte zu verdienen.
Ghost Recon: Breakpoint?
Mit einer strunzdummen KI – um im Tenor unserer Review zu bleiben. Im Jahr 2020 es tatsächlich noch hinzubekommen Gegner derart blöd zu programmieren grenzt ans 8. Weltwunder. Bereits in den ersten Minuten stürmen Feinde mit Waffen auf uns zu, die aus der Deckung heraus sauber einen anch dem anderen umnieten. Ghost Recon: Breakpoint lässt grüßen. Dieses lachse Verhalten zieht sich durch’s komplette Spiel. Gegner erkennen uns viel zu spät oder gar nicht und bei Alarm hilft kurzes Verstecken, damit das Kurzzeitgedächtnis gelöscht wird und die Agenten nochmals ihr Glück versuchen dürfen. Kleinere Rätsel mit dem Spider-Bot durch das verschlossene New Scotland Yard sind witzig, täuschen aber nicht über die Ideenlosigkeit hinweg. Das Waffenarsenal ist kleiner als im Vorgänger.
Clippingfehler und dürftige Animationen
Es konzentriert sich auf Nicht-Tödliche Schockwaffen. Stealth-Freunde verlangt die kaum nennenswerte Herausforderung nichts ab. Insofern reicht es rambomäßig vorzubreschen und kleinere Gegnerwellen niederzuballern. Mit viel Pech funktioniert der Questtrigger sowieso nicht, womit wir bei der technischen Seite wären. Zu allererst: Kein Ubisoft-Spiel ist jemals fehlerfrei erschienen. Aber „Watch Dogs: Legion“ unterbietet nahezu alles. Clippingfehler, dürftige Animationen, Tonaussetzer, plötzlich aufploppende Objekte am Straßenrand.
Ingame-Shop für kosmetische Outfits
Zumal die Fahrphysik eher einer Seifenkiste gleicht als genauer Steuerung. Egal, ob wir Sportflitzer, Transporter oder in normale Vier-Türer steigen, du schlitterst durch die Stadt. Lernte man denn nichts aus der Vergangenheit? Und ja den Ingame-Shop für kosmetische Outfits findet ihr schnell. Zumal das Spiel unsere PlayStation 4 Pro in einen dauerhaften Lüfter verwandelt – zum Zeitpunkt des Tests waren Next-Gen Konsolen noch nicht verfügbar. Hier kann die Performance natürlich weitaus besser sein.
Unser Fazit zu „Watch Dogs: Legion“
Drohnen, London als totaler Überwachungsstaat und Hackergruppen im offenen Gefecht um die Macht. Was hätte das für ein tolles Abenteuer inmitten der tollen Skyline Englands werden können? Stattdessen „locken“ repetitive Missionen, die lahm inszeniert werden und leider gar keine identifizierbare Figur bietet mit der man sich als Spieler überhaupt vereinbaren kann. Am Schluss bleibt „Watch Dogs: Legion“ düster aber nur selten unterhaltsam.
Entwickler: Ubisoft | Preis: 69,99 Euro | Für PlayStation 4|5, Xbox One|Series und PC|Stadia | USK: ab 0
Watch Dogs: Legion (PlayStation 4)
Spielspaß - 59%
Gameplay - 66%
Grafik - 57%
Technik - 46%
57%
Für Fans
Mäßig unterhaltsame Hacker-Action, die leider technisch wie spielerisch arge Probleme hat.