Far Cry 6 im großen Test – Viva la Widersprüche!
Dani Rojas gegen Antón Castillo
Ubisoft geizt auch im nunmehr sechsten Abenteuer der „Far Cry“-Reihe nicht mit gezielten Grenzüberschreitungen rund um den verzweifelten Kampf für Freiheit auf einer diktatorisch geführten Karibikinsel – spaßige Ballereien wechseln sich also mit todernsten Themen innerhalb der leicht müßig erzählten Kampagne ab. Überzeugt der kolossale Open-World Shooter dennoch ausreichend? Unsere Review zu „Far Cry 6“ verrät es.
Tief in der sternenklaren Nacht bewegen sich Militär-Konvois in eine belebte Innenstadt, die in kleinen Gassen mündet, um dem regen Treiben auf den Straßen zu rhythmischer Latin Music ein jähes Ende zu versetzen. Vorher bestens belaunte Menschen jeglichen Alters knien nun zwangsweise auf hartem unebenen Asphalt. Bis zur Unkenntlichkeit gepanzerte Soldaten fordern sich nicht zu rühren oder Gegenwehr zu leisten. In den Mittelpunkt treten jetzt drei jüngere Personen in ihren Twentysomethings. Einer davon ist Dani. Sein Ziel: Nur so schnell wie möglich weg aus dieser propagandistischen Diktatur, die seit Jahrzehnten anhält. Auf nach Miami. Auf in das Land der Freiheit. Doch Diskussionen um das Ob oder Wie enden schlagartig, nachdem das Militär die Drei unter Beschuss nimmt und Flucht die vermeintlich letzte Chance darstellt. Für Dani Rojas, so der Name der Hauptfigur, kommt es jedoch bald völlig anders.
Ubisoft nahm sich für den neuesten Ableger „Far Cry 6“ über fünf Jahre Zeit, was sich zweifelsohne nicht in grafischer Hinsicht aber in Sachen Präsentation und spielerischem Umfang niederschlägt. Allgemein machte die Shooter-Reihe eine merkliche Veränderung durch. Legte Serien-Schöpfer Crytek noch den Fokus auf lockere Schießbuden-Mechaniken innerhalb der trashigen Storyline rund um genmanipulierte Soldaten, gab es nach dem Wechsel zu den Franzosen einen spürbarer Realismus-Einschlag. Wobei der 3. Teil dank des herrlich gezeichneten komplett geisteskranken Bösewichts „Vaas“ den meisten Fans als bester Teil in Erinnerung bleibt. Im aktuellen Teil verschlägt uns als Spieler wieder auf eine paradiesische Insel voller Gewalt. Grund hierfür ist der skrupellose Diktator Anton Castillo gespielt von Breaking Bad-Kultdarsteller Giancarlo Esposito. Falls ihn die Entwickler mal in Zwischensequenzen von der Leine lassen, offenbart er schonungslos, dass er wirklich bösartig ist. Folter an politischen Gegnern, Verletzungen von Menschenrechten und gnadenlose falsche Propaganda gehören zur Tagesordnung. Denn der an Kuba angelehnte Inselstaat „Yara“ will durch speziell bearbeiteten Tabak Krebskrankheiten heilen und so wieder Macht erlangen. Zusammen mit seinem Sohn Diego regiert er deshalb noch rigiroser als zuvor.
Reiseplan durch Yara
Protagonist Dani kommt zu Anfang nicht drumherum im brodelnden Widerstand von Carla Garciá mitzumachen, da die Flucht höchstpersönlich von Castillo verhindert wurde. Nun gilt es mit verschiedenen Widerständlern sowie eigener Waffengewalt den Herrscher samt Regime zu stürzen. Die Handlung ist mit rund 40 Stunden extrem lange, aber verlässt sich zum Glück nicht mehr drauf, Dani bestimmte Bereiche von Schergen zu „befreien“ um dann den Obermotz herauszulocken. Ja, ich schaue voller Verachtung auf dich, „Far Cry 5“. Vielmehr bewegt sich Dani anfangs noch recht abgeschottet auf einer kleinen Insel und später dann im gesamten Gebiet von Yara um mal oder weniger sinnvolle Aufträge zu absolvieren. Das Missionsdesign funktioniert meistens nach Schema „Geh dort hin“ – finde Informationen/töte eine Zielperson/stiehl ein Fahrzeug oder allseits beliebt Gefangene befreien. Dank des klassisch einfachen Gameplay ergibt sich schnell ein herrlicher Flow aus Handlung sowie Entdeckungen. Jedes der sieben Gebiete hebt sich spürbar voneinander ab. So bahnen sich im Stadtgebiet Esperanza herrliche Oldtimer den Weg über die Straßen während im grünen Umland nicht selten tierische Jaguare angreifen. Da hilft nur Beine in die Hand nehmen oder sich in eine der vielen herumstehenden Hütten verschanzen. Früher war sowas oftmals Deko, heute darf man rein, was der Authentizität der kompletten Spielwelt nicht abträglich ist. Während die kantigen Nebenfiguren gerne viel sprechen, trifft das leider kaum auf die Bevölkerung zu. Normale Passanten beachten Dani nicht. Bei offenen Bedrohung oder Schusswechseln mit Castillos rennen sie einzig weg.
Einerseits wird in Dialogen nur zu gerne von 300.000 Soldados gesprochen, aber wieso laufen uns alle 10 Meter im tiefsten Urwald plötlich Patrolillen oder feuerbereite Panzer entgegen? Ein großes Problem hat „Far Cry 6“ in Form seiner Haltung. Einerseits kämpfen wir in buntem Setting freudig locker gegen ein Regime, andererseits schreckt das Studio nicht vor harten Gewaltszenen samt realen Problemen zurück. Die Hahnenkämpfe sind ein gutes Beispiel: Im Kern ein launiger Beat’em’Up aber real gesehen zelebrierte Tierquälerei. Wie ein roter Faden spinnt sich das Dilemma bis zum Finale ohne große Positionierung von Ubisoft. Aber Hey! Dafür plappert wenigstens Dani am laufenden Band – eine große Stärke. Er kommentiert Situationen, darf über Gegner ablästern und singt sogar mit dem Autoradio mit. Apropos Fahrzeuge: Das Arsenal wurde auf wenige aber ausreichend Fortbewegungsmittel eingedampft. Unter anderem gibt es den 56er Beaumont, einige Quads, den Pick-Up oder für alle Cowboys neuerdings auch schnittige Pferde. Per Wasser bieten sich Speedboats an, um auf kleinere Inseln zu kommen. Viele der meist in sich geschlossenen Basen, auf die Dani stößt, sind über mehrere Ebenen erbaut. Ideal für’s Auskundschaften per Smartphone-Kamera. Feinde markieren, Seiteneingang finden, Alarm deaktivieren – fertig. Problematisch wirkt da einzig die hochgradig verblödete KI der Soldaten. Taub oder Blind sind wohl Grundqualikationen von Castillo.
Von Neuerungen und Klon-Soldados
Lärmt der Alarm erstmal los kann es ganz schnell spektakulär werden. Soldaten treffen je nach gewählten Modus, also Action oder Story, gezielter während schwer abzuschüttelnde Kampfhubschrauber Dani aus der Luft attackieren. Das Trefferfeedback ist brachial befriedigend. Die Auswahl von Schießeisen sind ebenfalls reichhaltig – über Pistolen, Schrotflinten oder das nicht zu verachtende Scharfschützengewehr sind u.a. enthalten. Pfeil mit Bogen auch. Stiften wir zu viel Stress jagen uns die Regime-Spezialeinheiten, gegen die nur starke Waffen etwas ausrichten. Immerhin finden wir in Nebenmissionen oder versteckt in Hauptaufträgen besondere Wummen über die sich auch unsere Stärke definiert. Für eine kleine spielerische Revoltion bereit? „Far Cry 6“ besitzt keinen hingerotzten Upgradebaum sondern verbesserbare Ausrüstung durch gefundenes Metall sowie Schießpulver. Dani beherrscht nämlich alle früheren freischaltbaren Fähigkeit. Angriff aus der Luft, Bodenrutscher oder eben Enterhaken-Einsätze sind ab Minute 1 anwendbar. Klingt ganz gut bisher? Wären da nicht die traditionell auftretenden Triggerprobleme nach besonders langen Aufträgen, sodass nur ein Rückschritt zum letzten Speicherpunkt hilft. Ärgerlich sind in an sich kleinen Gebieten das unverhältnismäßige Spawnen von erledigten Gegnern. Es kann doch nicht sein, dass in frisch gesäuberten Bereichen nach Absolvierung sich sofort wieder die selben Klon-Soldaten tummeln. Während der Kampagnenbeginn besonders atmosphärisch anfängt und wenig später man zum musikalischen „Bella Ciao“-Cover feierlich per Flammenwerfer Drogenfelder abbrennt, flacht die Geschichte bis kurz vor Schluss merklich ab. Es wird zu viel um den heißen Brei geredet.
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Da helfen selbst die tierischen Amigo-Partner, bekannt aus den Trailern, recht wenig während Dackel Chorizo knuffig uns hinterherwackelt. Früh im Spiel trifft Dani auf den schrulligen Juan Carlos, ehemaliger CIA-Agent, der neben wichtigen Regeln uns auch mit sogenannten „Supremos“ versorgt. So eine Art Raketenrucksack mit dem Dani in hitzigen Gefechten für klare Verhältnisse sorgen kann. Im Gameplay nicht zu verachten. Direkt im Inventar findet sich der Fallschirm, damit ist es möglich taktisch über die Luft in Feindgebieten zu landen. Vielflieger empfehlen wir hier vor luftigen Trips die Flugabwehrkanone zu zerstören, bevor sie euch erwischen. Für die Reihe typisch gibt es allerlei Nebenaktivitäten wie Angeln, „Gran Premio“-Quadrennen, Schatzsuchen oder yaranische Geschichte. Ganz nett. Findet Dani aber genügend starke Waffen sind solche Beschäftigungen nicht mehr notwendig. Der Sinn im Jagen von Tieren ist durch sammelbare Kleidungsstücke ebenfalls fraglich. In unserer PS5-Testversion ist der schön anzusehende dynamische Tag- und Nachtwechsel zu loben, der je nach Wetterlage Yara in wunderbare Farben taucht. Ein Augenrollen konnte man sich im Hinblick auf die, ab Release, aktiven Mikrotranstionen ebenso nicht verwehren. Wenigstens warten noch drei knackige DLC-Packs ab November. Technisch ist wie beschrieben, der störrische Ubisoft-Wurm drin. Letzte Updates konnten einen Konsolenabsturz auch nicht verhindern. Zeitweise hatten wir sogar einen andauernden Framedrop, der nur mit Neustart des Spiels behoben werden. Denn sonst „Far Cry 6“ auf Next-Gen in meist flüssigen 60fps bei nativer 4K-Auflösung. Es sei denn, ihr habt das „HD-Texturen“-Datenpaket mit knapp 26GB runtergeladen. Da staunten wir auch.
Unser Fazit zu „Far Cry 6“
Die Revolution ruft! Aber auch sämtliche Widersprüche, es kommt einem fast so vor als ob Ubisoft stur jede tolle Sache im Abenteuer mit imaganiären Aber’s programmierten. Tolle Storyline, aber zu viel Streckung. Interessante Spielwelt, aber oftmals unrealistisch gestaltet. Grandioser Bösewicht, aber zu wenig im Fokus. „Far Cry 6“ ist ein launiger Shooter, viel ausgereifter als sein Vorgänger, auch wegen Verzicht auf Rollenspiel-Elemente. Die Lebensbalken aller Soldados mal ausgenommen. Entdeckungen innerhalb der Spielwelt machen aber Spaß. Die Belohnungen sind fair, die Aufträge sind dank häufigen Zwischensequenzen filmreif. Nur die Haltung zu offenen Gewaltexzessen und einem blutigen Regime lassen die Entwickler leider stark vermissen.
Entwickler: Ubisoft | Preis: ab 69,99 Euro | Für PlayStation 4|5, Xbox One|Series und PC|Stadia | USK: ab 18
Far Cry 5 (PlayStation 5)
Spielspaß - 85%
Gameplay - 87%
Grafik - 77%
Technik - 66%
79%
Empfehlung!
Viva la Widerspruch! Ubisoft serviert einen deftigen Shooter in paradiesischem Setting, punktet mit der Story aber lässt technische Sorgfalt vermissen.
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