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Watch Dogs 2 im großen Test

Watch Dogs 2 im Test: Raus aus dem verregneten Chicago, rein ins sonnendurchflutete San Francisco! Ubisoft´s Hacker-Abenteuer glänzt mit viel Ironie, großer Spielwelt und offensichtlichen Schwächen. Wir haben uns digital ausgetobt.

Traffic, Daten, Macht

Jeden Tag produzieren wir knapp 2,5 Milliarden Gigabyte an Daten, angefangen bei unserem letzten Online-Kauf bis hin zum letzten Facebook-Like oder Tweet. Unsere Welt war nie digitalisierter als heute. Wir, als bloße Menschen, bringen kein Geld ein, unsere Daten schon. Diese durchaus finstere Einleitung zeigt wie Facebook und viele andere Unternehmen an uns verdienen. Entwickler Ubisoft wollte mit „Watch Dogs“ im Jahr 2013 eine frische Marke neben „Assassin’s Creed“ etablieren. Im Kern schlüpfte der Spieler in die Haut von Hacker Aiden Pearce. Sein Leben geriet aus den Fugen als bei einem Mordanschlag seine Nichte ums Leben kam. Nun schworen wir auf Rache und jagten im stets grauen Chicago nach den Mördern. Zwischendurch hackten wir uns in das städtische Sicherheitssystem „ctOS“, dass ohne Rücksicht die Privatsphäre aller Bewohner ausspionierte. Untypische Themen wie Menschenhandel oder Hacker-Bewegungen fanden ihren berechtigten Platz in der Story. Eher unterschwellig wurde die Firma „Blume“ und die Hackergruppierung „DedSec“ angesprochen. Leider herrschte über Teil 1 der überdimensionale „Grafikdowngrade“-Schatten. Bei Ankündigung wurden Szenen gezeigt, die in ihrer Grafikqualität, so niemals im fertigen Spiel ohne Mods zu sehen waren. „Für den Einstand reicht´s“ war der abschließende Tenor von „Watch Dogs 1“.
Die Handlung von „Watch Dogs 2“ ist rasch erzählt: Der junge schwarze Hacker Marcus Holloway (Codename Retr0) wird bei einem größeren Coup, gleich zu Anfang, von der bekannten Hackergruppe „DedSec“ rekrutiert. Diese wollen den Konzern „Blume“ sowie das nun national installierte Sicherheitssystem „ctOS 2.0“ aufdecken bzw. aufhalten. Der Plan: Genügend Follower und ihre Systeme auf unsere Seite ziehen um überhaupt eine Chance zu haben. Die Crew besteht vornehmlich aus drei Personen. Wrench, ist der klassische Sidekick. Von ihm erhalten wir Waffenpläne für den hauseigenen Waffen 3D-Drucker. Als Anführerin überzeugt Sitara, sie bearbeitet das grafische Layout von DedSec und bringt in vielen Momenten gute One-Liner. Während Hacker Josh sehr introvertiert handelt aber dadurch eine hohe Wiedererkennung aufweist. Zu einem Orson Welles-Alptraum verkommt die Story auch in Teil 2 nicht. Dennoch unterhält sie mit ihren teils pointierten Gesprächen innerhalb des Nerd-Kosmos. Ubisoft präsentiert keine schemenhaften Gestalten sondern lebendig rebellische Charaktere, die es genauso gut in eine Netflix-Serie schaffen könnten. Vintage-Jeans trifft auf Nietenjacke und so weiter. Anarchische Action statt Grau der letzten Tage könnten jedoch potenzielle Spieler abschrecken.

Tapetenwechsel im Gefüge

So verwundert es nicht, dass die Spielwelt einen großen Wandel erlebt. Weg vom bedrückenden Chicago, rein ins sonnige San Francisco. Zu Anfang müht sich die Story nicht mit schweren Szenen ab. Wir feiern am Strand unseren Einstand bei DedSec und wachen am nächsten Morgen nur mit Unterhose samt Schuhen in fremder Wohnung auf. Aufgerappelt sowie von Passanten ausgelacht besorgen wir frische Kleidung. Ab diesem Punkt dürfen wir uns völlig frei bewegen. Massive Reizüberflutung wenn wir in San Francisco umher fahren. Überall tauchen Symbole von Nebenmissionen bis hin zu kleinen Verdienstmöglichkeiten auf. Von denen gibt es zahlreiche: Im selbst ironisch betitelten Uber-Surrogat „Driver: San Francisco“ holen wir Fahrgäste ab und bringen sie zu angegebenen Zielen. Dreh- und Angelpunkt wurde das Smartphone massiv überarbeitet. Nicht mehr als bloße Signale sondern als vollwertiges Menü erscheint es nun. Im App-Store versorgen wir uns mit den wichtigsten Programmen wie Navigation, Social Media oder Fotofilter. Klingt zunächst innovativ ist aber beim Autofahren unnötig hakelig, da wir für Radio, Missionen und Upgrades nur dieses Menü führen.
Selbst nach längerer Spielzeit war ich skeptisch, ob die Handlung nun digitale Gesellschaftssatire oder ernsthafter Cyperthriller sein will. Denn genau hier steckt die Problematik. Einerseits amüsant, dass unser Gegenspieler im privaten ein skrupelloser Yoga-Fanatiker ist. Andererseits wird es in einigen Momenten sehr ernsthaft gar dramatisch. Um „ctOS“ und Blume, die ohne jede Frage Datendiebe aller erster Güte sind, zu stoppen, stehlen und missbrauchen wir das Konzept, um es ihnen gleichzutun. Dieser Widerspruch ist zweifellos eine große Schwäche. Dabei ist DedSec die virtuelle Realisierung von „Anonymous“ und „WikiLeaks“. Insbesondere die deutsche Synchro zieht sich von Gut bis Mittelmaß durch.

Follower = Macht

Die Steuerung von Marcus benötigt Eingewöhnung. Anfangs wird die anmutend komplexe Steuerung für einige falsche Eingaben führen, doch irgendwann flutscht es. Im Gegensatz zu Aiden Pearce hat sich die Kamera auffällig nach hinten verzogen. Mit R2 springen, überwinden wir im Parkour-Stil kleinere Jump´n´Run-Einlagen. Keine Sorge, ihr bekommt mit Watch Dogs 2 keinen inoffiziellen „Assassins Creed“-Titel. Anders als bei Platzhirsch GTA 5 ist das Trefferfeedback bei Marcus selbst sehr abgespeckt. Falls uns ein Auto erfassen sollte, nimmt er zwar Schaden läuft jedoch unbeirrt weiter. Sehr unpassend im realistisch gehaltenen Setting.
Unsere Hauptmissionen leben von ihrer Abwechslung. Mal sollen wir „nur“ Daten aus einem streng bewachten FBI-Gebäude sichern, dann ein sprechendes Auto klauen und eine Polizeijagd plus Fernsehübertragung herbeiführen. Der Grund: Follower. In Watch Dogs 2 geht es nicht um Geld sondern Macht durch Community. Mit jeder abgeschlossenen Aufgabe verdient sich Marcus neue Follower. Damit erhalten wir neue „Forschungspunkte“ und dürfen in fünf Kategorien Skills verbessern/erlernen. Dieses Konzept ist wunderbar einleuchtend. So gibt es Follower, die für uns neue Informationen haben und so größere Nebenmissionen eröffnen. Qausi, das The Witcher 3-Prinzip. Auch führt die Kampagne den Spieler am Nasenring durch die Manege. Natürlich positiv gemeint, weil niemand nach einem kompletten Durchgang sagen kann, dass er noch nie etwas von „Nudle“ gehört hat. Watch Dogs 2 spart nicht an deftiger Tech-Satire. Silicon Valley und die großen realen Unternehmen wie Google, Facebook oder Instagram werden gnadenlos karikiert. Hier spielt Watch Dogs 2 seine Stärke richtig gut aus.

Blasse KI im Sonnenstaat

Die Spielwelt des Erstlings konnte ohne jeden Zweifel als realistisch beschrieben werden. So auch hier. Viele Passanten laufen rum und führen nebenher Gespräche. Unsere Taten werden im Nachhinein diskutiert. Kleine Ereignisse wie Frauen, die Autos mit Hämmern zerstören passieren angenehm dynamisch. Problemlos hacken wir jeden einzelnen NPC. Stehlen kleine Geldbeträge, lesen private Nachrichten etc. Ubisoft stellt den Spieler gern als „Big Brother“ hin. Leider gibt es außer wenigen Skriptsequenzen wie spielende Hunde oder kleinem Ehekrach wenig zu beobachten. NPC´s bleiben teilnahmslos. Im Gegensatz ist GTA 5 ein wahres Sozialexperiment. San Fransisco ist riesig. Knapp 10 Minuten von einem Küstenende zu anderen. Majestätisch durch u.a. die Golden Gate Bridge verbunden ist es immer wieder ein schönes Erlebnis alles zu erkunden. Sehr lobenswert, die klassische Ubisoft-Formel hat ausgedient. Will heißen, Türme sind obsolet und Sammelobjekte rar gesät. Dafür ist der Fuhrpark erweitert worden. Neben Sport-, Kombi-, Off-Road, Bikes sind nun auch Reisebusse sowie Transporter hinzugekommen. Leider wurde auch das Problem aus Teil 1 mitgenommen – die Sounds. Quälende schnattrige Motorgeräusche verderben unnötigerweise schnell den Fahrspaß. Patch sollte dringend erfolgen. Zudem die Spielwelt zwar groß und „offener“ als in Teil 1 ist, jedoch haben wir mehr offene Gebäude statt obligatorische Läden und Pfandleihen erwartet.
Für jede Erkundung werden wir belohnt. Das spornt ungemein an. Bereits in den ersten Spielstunden erhalten wir Zugriff auf Gadgets wie den „Jumper“ oder die Quadrocopter-Drohne. Bei erstem handelt sich um ein Gelenk mit zwei Rädern, mit dem erforschen wir feindliches Gebiet und hacken Verteilerkästen. Die Drohne ist für offene Gebiete geeignet. Wir scannen Gegner und mögliche Routen ab. „Far Cry“ Feeling in Reinform. Später lösen wir damit Röhren-Rätsel um uns in fremde Systeme zu hacken. Mal unter strengem Zeitdruck oder davon befreit. Watch Dogs 2 macht schnell klar – es will kein Shooter sein. Zwar besteht ein ausführliches Waffenarsenal mit Sturmgewehren, Pump-Guns oder Granaten jedoch nur als letzte Möglichkeit. Trefferfeedback ist allenfalls mittelmäßig. Erschwerend kommt die fast schon übernatürliche Gegner-KI dazu. Ein kurzer Blick auf Marcus in feindlichem Gebiet reicht um Verstärkung kommen zu lassen, ohne überhaupt den Funkspruch abzusetzen. Watch Dogs 2 möchte eindeutig als Stealth-Game wahrgenommen werden.

Mit offenen Karten

Nach dem bahnbrechenden Erfolg von Genrekönig GTA – besitzt auch Watch Dogs 2 vielerlei Multiplayer- oder Koop-Aktivitäten. Keinen vollwertigen Multiplayer dennoch „nahtloser Coop“ wird geboten. In bester Dark Souls Manier ist unser laufendes Spiel offen. Deshalb ist es anderen Spieler erlaubt sich in unser Spiel zu „hacken“. Dadurch müssen wir ihn in der Spielwelt suchen und aufhalten. Falls dies in laufenden Story-Missionen passiert ist es ärgerlich. Praktisch: In den Optionen können wir das nach Belieben einstellen. Ob selbst als Eindringling oder völlige Enthaltung. Als kleine Ablenkung für zwischendurch ist es wunderbar geeignet.
Ubisoft hat sich den Grafik-Fehlgriff erspart und sofort mit offenen Karten gespielt. Als Engine kommt die hauseigene modifizierte „Disrupt“ zum Einsatz. Im dynamischen Tag- und Nachtwechsel überrascht sie mit wirklich schönen Licht- sowie Partikeleffekten. Unbeschreibbar seltsam wirkt das Wasser – keinesfalls realistisch. Trotz aktuellem Patch sind uns negative Dinge aufgefallen. Erledigte Gegner verschmelzen mit Häuserwänden und der ausgelöste Hydrant spritzt durch das Auto. Ruckelorgien konnten wir phasenweise auch feststellen, die aber ein auf die andere Sekunde verschwanden. In Zwischensequenzen fällt ebenfalls Asynchronität auf. Der rote Faden in Ubisoft-Titeln. Man darf auf den PS4 Pro Patch gespannt sein.

Fazit – Watch Dogs 2

Watch Dogs 2 ist das Paradebeispiel für eine längere Eingewöhnungszeit in Videospielen. Das arcadige Fahrgefühl erinnert an frisch gewachste Bowlingbahnen, die wir nur mit Socken betreten. Der Parkour-Stil ist eine hilfreiche Erweiterung des Konzepts. Ja, es gibt einige nicht zu verachtende Schwächen wie die KI und eher antiseptische Spielwelt. Und doch macht es Spaß. Es macht Spaß den Hacker-Hipstern dabei zu helfen das ungerechte System zu stürzen. Es macht Spaß in mannigfaltigen Missionen allerlei digitalen Nonsens zu verzapfen. Als Schleich-Fan liebe ich, dass mir das Spiel die freie Wahl lässt. Ubisoft hat seine übermäßig angewandte Formel für einen Titel vergessen und dabei die hervorragende Grundlage für einen vielleicht perfekten dritten Part geschaffen.
Entwickler: Ubisoft – Preis 69,99 Euro – Für PlayStation 4, Xbox One und PC. USK: ab 18

Watch Dogs 2 (PlayStation 4)

Spielspaß - 85%
Gameplay - 75%
Grafik - 80%
Technik - 82%

81%

Empfehlung!

Watch Dogs 2 erfindet das Open World-Rad zwar nicht neu, überrascht jedoch mit ironischer Hacker-Thematik und gutem Umfang.

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Benny Illgner

Nachname hielt schon Fußbälle auf. Ich bisher nur virtuell. Sitzt seit 2005 in Digitalien fest und wartet auf den Pannendienst. Steht in fester Beziehung mit Twitter und Instagram. Schreibt Gags fürs Netz und Fernsehen. Nimmt gedeckte Schecks und Pizza gerne auf Twitter unter @IamIllgner an.

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