jazzopen 2023: Deep Purple & Madrugada in Concert – Der Schlossplatz bebt
Regen und Gewitter als experimentelle Effektshow
Fulminant eröffneten die Rocklegenden um Ian Gillan die Schlossplatz-Konzerte unter freiem Himmel der diesjährigen jazzopen 2023 – deftige Gitarrenriffs wechselten sich mit absoluten Klassikern wie „Smoke On The Water“ ab. Im Vorfeld stimmten die norwegischen Indie-Rocker „Madrugada“ mit melancholisch-treibenden Melodien perfekt auf den besonderen Konzertabend hin, der unweigerlich Stuttgart-Mitte zum Beben brachte. Unsere Konzertkritik zu Deep Purple & Madrugada.
Die Schlangen vor den Einlässen stauen sich langsam, aber die Ordner:innen lassen sich nicht aus der Ruhe bringen. Zu Zeiten des Festivals jazzopen herrscht in der schwäbischen Metropole seit jeher eine besondere Stimmung. Gerade zu befreit lässt es sich da ruhig einen Moment warten. Das gesamte Festivalgelände samt breiter Tribüne nimmt den halben Schlossplatz in Beschlag um sein Publikum an jedem Abend mit neuen musikalischen Highlights den Feierabend zu versüßen. Nach den ausverkauften Konzerten gegenüber im Alten Schloss mit u.a. Melody Gardot oder Snarky Puppy wurde gestern mit deftigem Sound die Bühne im Innenhof des Neuen Schlosses eröffnet. Es ist noch später Nachmittag als eine Schar an Zuschauern ausgestattet mit kühlem Bier in die provisorischen Warteschlangen für den Innenraum begeben, der Altersdurchschnitt lässt sich mit jenseits der 40 gut zusammenfassen. Neben frischgebackenem Flammkuchen liegen auch schattige Plätzchen im Trend. Währenddessen unterhält die Künstlerin Anna Stucky mit ihren folkischen Klängen und sphärischen Songs die noch überschaubare aber aufmerksam verfolgende Hörerschaft. Langsam füllt sich der Innenhof und der restliche Schlossplatz jedoch merklich, die Atmosphäre ist durchweg gelassen gar schwäbisch freudig. Vereinzelt sind Bandshirts der auftretenden Acts auszumachen, dies entgeht übrigens auch nicht Sivert Høyem, Frontmann von „Madrugada“. Übersetzt bedeutet der Bandname so viel wie Morgengrauen und ebenjene landeten Anfang der 2000er mit ihren ersten beiden Alben sowie der Single „Hands Up – I Love You“ einen Charthit.
Betont lässig im Gang und locker sitzenden schwarzen Anzug singt Høyem in rockig-treibenden aber wunderbar melancholischen Songs über den Verlust von Liebe während sein durchdringender Blick im über einstündigen Set nahezu jeden Zuschauer des Ganzen unweigerlich trifft. Ohne viel unnötige verkomplizierende Show hört man auf gute Weise gealterte Indie-Musik, die dank eingängiger Texte und Nutzung von akustischen Gitarren die typisch nordische Kälte in den Refrains unterstreicht. Nur logisch ist da natürlich, dass sich die sonst finster dreinblickenden Gitarristen einzig am Schluss ein Lächeln nicht verkneifen können. Hier entstanden übrigens die intimsten Momente. Ein Mann, seine Gitarre und teils bittere Texte über fehlgeschlagene Liebesmüh samt natürlich eingehendem Weltuntergang – in persönlicher Hinsicht. Da hilft nur Gruppenkuscheln was sich der Leadsänger mit der tiefen Stimme auf gefühlvollem Konfrontationskurs im kleinen Bad in der wippenden Menge abholt, quasi Musik zum Anfassen. Wer dazwischen einen Blick gen Himmel riskierte sah nunmehr keine knallige Sonne sondern eine grau-trübe Suppe welche sich kitschig passend zur melodramatischen Grundstimmung der Songs formierte. Gar quälend schreiende E-Gitarren honoriert das verfolgende Publikum mehrfach mit Applaus bevor Høyem im feinsten Dieter Thomas Kuhn-Gedächtnislook, nämlich einem schick glänzenden Paetten-Jackett, den größtmöglichen Kontrast zur eigenen Musik beweisen will – optisch zumindest. Als hätten die letzten erklingenden Riffs die grauen Wolken weggepustet, erscheint über dem Stuttgarter Schlossplatz plötzlich wieder blauer Himmel.
Der ohnehin schon gut gefüllte Innenhof des Neuen Schlosses platzt fast aus allen Nähten, denn eines der zweifelos größten Highlights der gesamte jazzopen 2023 steht an – Deep Purple. Die Urväter des Hard Rock und dessen einflussreichste Vertreter geben sich die Ehre und zeigten über eineinhalb Stunden wo Bartels den Most holt. Eines vorweg: Wer mit 77 Jahren immer noch so agil über die Bühne springt und tänzelt wie Gillan tat alles richtig. Mit einer Lautstärke, die jeden Metal-Fan glücklich macht und wahrscheinlich bis Karlsruhe zu hören war, begann die Sause mit „Highway Star“ und schon hier durfte der Jungspund der Gruppe Simon McBride im Spot einige Soli durchziehen. Derweil zeigt Wettergott Petrus seine Muskeln, in dem er Regen auf die Plastikponchos des Publikum prasseln lässt und mehrfach Blitze über dem Schlossplatz schickt als wolle er den britischen Altrockern eine natürliche Effektshow liefern. Davon ließ sich Leadsänger Gillan im leuchtend blauen Hemd jedoch nicht beeindrucken und sang stattdessen mit grellig-galliger Stimme den herrlichen Klassiker „When a Blind Man Cries“. Neben einer Vielzahl Fans der ersten Stunde wollten sich auch deutlich jüngere Zuschauer dieses Konzert nicht verpassen – bedeutet ausgiebiges Headbanging in schöner Regelmäßigkeit. Beeindruckend war zudem das herrliche Zusammenspiel zwischen LED-Leinwand im Hintergrund, eingesetztem Nebel sowie wild herumwirbelnden Scheinwerfer, welche in besonders psychodelischen Momenten das gesamte Publikum in eine Art Trance versetzten. Dies lag größtenteils an Don Airey – minutenlang malträtiert er sein mehrebig ausgestattetes Keyboard um absurde Tonkreationen zu schaffen, die sich mal klassisch an Beethoven orientierten, dann wieder ruhig weiterlaufen um sich dann in Rage zu steigern während er Soundeffekte des Commodore 64 in meisterhafter Form zur technohaften Symbiose verbindet – zur Abkühlung gab es dann „Auf der schwäbsche Eisebahne“ was nicht ausschließlich die anwesenden Altschwaben im Innenhof frenetisch bejubelten.
Gegen Ende durfte man sich über herrlich ausgedehnte Fassungen der Rock-Klassiker „Smoke On The Water“ und „Hush“ freuen. Gar euruptionsartige gelingt es Deep Purple jedes Mal frische Höhepunkte zu setzen, bloß um sich direkt zum nächsten zu bewegen. Diese Musik ist zeitlos und dank einer so wundervoll abgestimmten Band welche wie ein Schweizer Uhrwerk läuft, kein Konzert sondern ein Erlebnis.
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