Ausnahmeregisseur Alex Garland (Ex Machina) skizziert mit „Civil War“ ein erschreckend realistisches Bild eines aus den Fugen geratenen Amerikas, in dem statt Demokratie das Gesetz der Stärkeren zählt. Was passiert sobald Legislative und Judikative vom machtgierigen US-Präsidenten persönlich ausgehebelt wurden? Kirsten Dunst darf man in einer ihrer stärksten Rollen als Fotojournalistin bewundern – während der komplette Cast glaubwürdig durch die (Vereinigten) Staaten jenseits unserer heutigen Vorstellungskraft reist. Unsere Kritik zu „Civil War“.
Atemlos hetzt eine schwer ausgerüstete Truppe durch Gänge. Vorbei an handgemalten Gemälden. Ihre Schritte sind zwar leise hinterlassen jedoch nuancierte Geräusche auf dem glänzenden Marmorboden. Schusswechsel beginnen. Personen in schwarzen Anzügen versuchen mit aller Kraft jene Angreifer abzuwehren. Tatsächlich spielt sich das Geschehen mitten im Weißen Haus auf dem Weg zum Oval Office ab. Doch, stellt sich die Frage, warum attackieren die in klassischen Military uniformierten Angreifer „ihren“ Präsidenten bzw. seine Leibgarde? Diese Frage stellt der in London geborene Regisseur Alex Garland in seinem neuen Film „Civil War“ in bedrückender Art und Weise. Der 53 jährige Regisseur fiel zunächst 1996 mit seinem Bestseller „The Beach“ auf, welcher von dem ebenfalls britischstämmigen Regisseur Danny Boyle im Millennium als Spielfilm realisiert wurde. Natürlich mit dem zugrundeliegenden Drehbuch von Garland, desweiteren verfasste er die Skripte zum Endzeit-Horrorthriller „28 Days later“ sowie „Sunshine“. Mit „Ex Machina“ gab er 2015 sein vielbeachtetes Regiedebüt. Aus rein subjektiver Sicht muss ich trotz Liebe zu seinen bisherigen Arbeiten gestehen, dass mir das letzte Projekt „Men“ deutlich zu eigensinnig und künstlerisch war. Dies ist bei „Civil War“ zum Glück anders.
Bereits der Anfang ist so einfach wie typisch für Garland. In ruhigen unscharf gefilmten Bildern lässt sich der amtierende US-Präsident erkennen, meisterhaft dargestellt von „Parks and Recreation“-Star Nick Offerman, kurze Polit-Phrasen seiner Rede durchgehen. Von „Zusammenhalt“ und „Kampf gegen Widerständler“ ist da sinngemäß zu hören, dies wird am Bildschirm von Kirsten Dunst als Fotojournalistin Lee emotionslos wahrgenommen. Sie und ihr Reporterkollege Joel (Wagner Mouza) planen nämlich von New York nach Washington D.C. zu reisen, um den sich dort aufhaltenden US-Präsidenten zu interviewen. Dieser hat sich 14 Monate lang im Weißen Haus verschanzt und gab keine Interviews. Ihnen schließen sich der ältere Journalist „Sammy“ (Stephen McKinley Henderson) sowie die junge unerfahrene Fotoreporterin „Jessie“ (Cailee Spaeny) an. Zusammen bahnen sich als neutral agiernde Menschen einen Weg durch ein in vielerlei geteiltes Land. Was Garland wie nahezu kaum jemand anderes aus seiner Zunft beherrscht, ist die realistische Präsentation seiner erschreckend möglichen Vision eines demokratischen Landes ohne Regeln oder Hemmungen.
Es gibt keine Gewinner
Bereits im Opening ist dies ersichtlich als bei einer eskalierenden Demonstration ein Selbstmordattentat geschieht und die Figur von Kirsten Dunst nicht schockiert sondern abgeklärt in Deckung geht. Im großen Teilen bedient sich „Civil War“ eines Roadmovie, der je tiefer es ins Land geht, uns mehr in den Schrecken hineinzieht. Menschen werden blutig verprügelt aufgeknüpft oder finden sich in provisorischen Zeltstätten innerhalb von Stadien wieder. Die Klaviatur auf der Drehbuchautor Garland spielt ist erstaunlich groß und bietet enormen Interpretationsspielraum. Wobei die Hintergründe weshalb der namenlose US-Präsident, aus Dialogen rauszuhören, das FBI auflöste und derartige Zuständen zuließ, nie richtig klar werden. Auch lassen sich die beide attackierende Gruppe nicht als Demokraten und Republikaner einordnen. Dennoch ist die Geschichte von „Civil War“ im Hinblick auf eine weitere Amtszeit eines komplett rachsüchtige Donald Trumps im Weißen Haus ungemein schockierend. Gleiches gilt für die dargestellte Gewalt im Film – diese ist drastisch aber niemals voyuristisch. Für eine FSK 16 recht großzügig.
Der Cast ist klein gehalten, überzeugt in jeder Sequenz. Neben Dunst sticht äußerst positiv Wagner Moura hervor, der in Ruhephase für etwas Auflockerung sorgt. Henderson als alternder Journalist sorgt für großväterliche Vibes während die Wandlung von Spaeny als „Jessie“ innerhalb weniger Tage recht konstruiert wirkt. Zwar nur in kurzer Screentime vertreten aber wohl einige Jahre im Kopf verbleibt Jesse Plemons – seine Rolle offenbart das gesamte Ausmaß einer nationalistischen Politik. Musikalisch setzt Garland auf konträr-eingesetzte Stücke. In wenigen Momenten setzen die Komponisten Ben Salisbury und Geoff Barrow auf Gitarrenklänge, die an John Murphys dystopischen Score aus „28 Days later“ erinnern.
- Dieser Artikel hat Deutsche Sprache und Untertitel.
- Gleeson, Domhnall, Isaac, Oscar, Vikander, Alicia (Schauspieler)
- Garland, Alex (Regisseur)
Ohnehin zeigt uns „Civil War“ eine grausame Welt, in der Menschen andere Menschen töten. Aber nicht aufgrund eines Virus. Garlands neues Werk ist eine Art politische Art des Horrors. Statt Viren infizieren Fake News. Ideologie statt Infektion. Technisch ist unbedingt Haus- und Hofkameramann Rob Hardy zu loben. Seine Blick für Ästhetik balanciert perfekt zwischen Grauen und Schönheit, sorgt zudem für eine markante Optik. Für das mitproduzierende Studio A24 ist es mit rund 75 Millionen Budget das teuerste Projekt ihrer Geschichte. Ich schaute ihn im kürzlich eröffneten Dolby Cinema, dies empfehle ich euch auch. Gerade in Kontrast-lastigen Szenen profitiert ihr im Kinosessel davon. Zudem ist die Tonabmischung wirklich gut gelungen. 108 Minuten mit bedrückender Stimmung flimmern über die Leinwand, um ein engagiertes Plädoyer für die Pressefreiheit abzugeben und eine Warnung auszusprechen. Nehmen wir Sie verdammt ernst.
Civil War. USA 2024. Verleih: A24. Regie: Alex Garland. Mit Kirsten Dunst, Wagner Moura, Cailee Spaeny. Genre: Action/Drama. 108 Minuten. FSK: Ab 16 Jahren.
Gibt es eine Post-Credit-Szene? = Nein.
Kinotickets für „Civil War“ gibt es hier.
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